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Anny E. Popp Eine Alterszeichnung Donatellos?
In Florenz biegt die Bewegung von einem geschlossenen Zentrum ab, von seiner kom-
pakten Masse splittern leichtere Massen weg (Botticelli, Bronzino).
In Venedig dagegen ist das Zentrum leer oder nur eine geringe Masse vorhanden und
die Hauptbewegung geht durch die ganze Gestalt dem Zentrum zu. (Vgl. Lotto, Abschied
Christi von seiner Mutter, Berlin, Kais.-Friedr.-Mus., Weicher Kunstbücher: Lotto 32, Ver-
mählung der hl. Katharina, Bergamo, W. 53 usw. und Tintoretto: Ecce homo, S. Rocco,
Abendmahl S. Giorgio Magg. Venedig.)
In Florenz ist es, als würde sich die Masse durch ein Rotieren konzentrieren und
die Fliehkraft, die dabei entsteht, einzelne leichtere Teile fortschleudern.
Abb. 35 Eorenzo Lotto, Pieta. Mailand, Brera.
In Venedig dagegen ist es, als erfüllte ein rhythmisches Schwingen den Raum, ein
pendelartiges Hin und Her, bei dem das wesentliche das immer wieder zum Ausgangs-
punkt zurückkehren, die Zentripetalkraft ist, was durch das Zurückschwingen betont wird.
So ist das Zentrum häufig leer oder aber, wenn es von Gestalten erfüllt ist, wachsen sie
nicht aus der Vertikalen als zentraler, zusammenfassender Gewalt wie bei Botticelli und
Bronzino heraus, sondern überkreuzen sich im rhythmischen Wechsel (vgl. z. B. Lottos
Madonna, Sammlung Piccinelli, Bergamo, Weicher 42).
In der Mailänder Pieta Lottos, einem Spätbild von 1545, ist es klar, daß sich die
Gestalten um eine Vertikale in die Höhe bauen, also das Florentiner Prinzip zugrunde
liegt. Darum die Vermutung der Abhängigkeit von einem Florentiner Bild, möglicherweise
dem Botticellis in Mailand, dessen steilem Dreieck gegenüber es nur insofern eine Änderung
bedeutet, als es sich auf weniger Gestalten beschränkt, die Richtung der Madonna und
Christi zusammenfaßt, ihnen nur die eine des Johannes entgegenstellt und die Bedeutung
Anny E. Popp Eine Alterszeichnung Donatellos?
In Florenz biegt die Bewegung von einem geschlossenen Zentrum ab, von seiner kom-
pakten Masse splittern leichtere Massen weg (Botticelli, Bronzino).
In Venedig dagegen ist das Zentrum leer oder nur eine geringe Masse vorhanden und
die Hauptbewegung geht durch die ganze Gestalt dem Zentrum zu. (Vgl. Lotto, Abschied
Christi von seiner Mutter, Berlin, Kais.-Friedr.-Mus., Weicher Kunstbücher: Lotto 32, Ver-
mählung der hl. Katharina, Bergamo, W. 53 usw. und Tintoretto: Ecce homo, S. Rocco,
Abendmahl S. Giorgio Magg. Venedig.)
In Florenz ist es, als würde sich die Masse durch ein Rotieren konzentrieren und
die Fliehkraft, die dabei entsteht, einzelne leichtere Teile fortschleudern.
Abb. 35 Eorenzo Lotto, Pieta. Mailand, Brera.
In Venedig dagegen ist es, als erfüllte ein rhythmisches Schwingen den Raum, ein
pendelartiges Hin und Her, bei dem das wesentliche das immer wieder zum Ausgangs-
punkt zurückkehren, die Zentripetalkraft ist, was durch das Zurückschwingen betont wird.
So ist das Zentrum häufig leer oder aber, wenn es von Gestalten erfüllt ist, wachsen sie
nicht aus der Vertikalen als zentraler, zusammenfassender Gewalt wie bei Botticelli und
Bronzino heraus, sondern überkreuzen sich im rhythmischen Wechsel (vgl. z. B. Lottos
Madonna, Sammlung Piccinelli, Bergamo, Weicher 42).
In der Mailänder Pieta Lottos, einem Spätbild von 1545, ist es klar, daß sich die
Gestalten um eine Vertikale in die Höhe bauen, also das Florentiner Prinzip zugrunde
liegt. Darum die Vermutung der Abhängigkeit von einem Florentiner Bild, möglicherweise
dem Botticellis in Mailand, dessen steilem Dreieck gegenüber es nur insofern eine Änderung
bedeutet, als es sich auf weniger Gestalten beschränkt, die Richtung der Madonna und
Christi zusammenfaßt, ihnen nur die eine des Johannes entgegenstellt und die Bedeutung