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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 18.1897

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Abhandlungen
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Ilg, Albert: Ein Schreiben Heinrich Friedrich Füger's
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https://doi.org/10.11588/diglit.5779#0083
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Albert Ilg.

»schreiben. Ich glaube und behaupte die Luft ist Schuld daran, der verwünschte Scirocco
»schlägt so in die Glieder und besonders in die, die man zum Schreiben braucht, daß,
»wenn die übrigen noch soviel guten Willen haben, der Kopf gewöhnlich seine Dienste
»versagt. Sehr natürlich fragen Sie, ob wir denn hier ein ganzes Viertel Jahr hinter ein-
»ander Scirocco gehabt haben? und bedauern uns wol zum voraus wegen der ausgestan-
»denen Hitze. Allzugütig, mein Theuerster Herr Hof Rath! Erlauben Sie indessen Ihnen
»zu sagen, daß unter dem Scirocco alle übrige Hindernisse mitbegriffen sind, die Ihren unter-
»thänigen Diener so lange abgehalten haben, seine Pflicht Schuldigkeit zu beobachten und
»Ihnen für Ihren gütigen Brief zu danken, womit Sie ihn beehrt haben. Mit einem Wort,
»ich wollte warten, bis unsere erste Probestücke in Wien angekommen wären, um von
»Ihnen zu vernehmen, ob ich nach Ihrem Geschmack meinen Mann gewählt habe, oder
»nicht. Seit einem Monat gehe ich täglich zu Mengs, zeichne nach seinen Akademieen und
»Antiken, die er alle in den trefflichsten Abgüssen und in Menge beisammen hat; der wohnt
»linker Hand bei der Golonnade von st. Peter und ich rechter Hand bei der porta popolo
»zwo kleine welsche Meilen davon. Wenn man diesen Weeg zweimal des Tages in der
»Hitze gemessen hat, zeichnet wenn man nach Hauße kömmt, noch ein paar Stündchen
»nach dem Modell so versichere ich Sie, ist man so stumpf und leer, dass man kaum seinen
»Tauf- und Zu-Nahmen, geschweige denn einen Brief an seinen Gönner schreiben kan.
»Sonn- und Feiertags geht man mit guten Freunden aus, die Villen und Paläste und Gal-
»lerien zu besehen. Hier haben Sie alle meine Entschuldigungen und zugleich das register
»von dem was ich thue und gethan habe.

(2. Seite.) »Ihren Brief selbst bewahre ich in meinem Archiv als einen Schatz und als eine Ur-

skunde Ihrer Freundschaft! Ich lese ihn, so oft er mir in die Hand kömmt, sein Innhalt ist
»der Unterricht des philosophischen Kenners, die Stimme der Wahrheit und des gereinigten
»Geschmacks. Ich stärke damit meine Gebeine und stähle meinen Muth, wenn er zuweilen
»unter den Schwierigkeiten der Kunst erliegen will. Schon längst empfand ich den Unter-
»schied des erhabenen von dem schwulstigen, der falschen Grösse von der wahren, die
»Raphael und die Antiken lehren. Das einfache dieser rührte mein Herz unmittelbar, das
»andere verführte es nur auf kurze Zeit, und, wenn ich je dafür sprach, so geschah es nie
»aus Verachtung oder aus Mangel des Gefühls für das Gute und bessere, sondern bloß aus
»mütterlicher Liebe für meine Kinder, die ich französisch kleidete, weil ich kein griechisch
»Gewand für sie hatte. So wie der Verstand und die feinere Empfindung der Seele den
»wahren Vorzug des Menschen ausmacht, so sind auch die Werke die vorzüglichste, die für
»diese beide gearbeitet sind; und ein Künstler den die Natur mit den gehörigen Gaben au-
sgerüstet hat, wenn er nach diesem Ziele arbeitet, so arbeitet er für die Ewigkeit. Die Vier
»grossen Nahmen eines Raphael, Domenichino, Poussin und Le Sueur sind mein Beweiß.
»Jeder angehende junge Künstler wird eine Zeitlang am mechanischen der Kunst kleben,
»und die Vorzüge desselben vertheidigen, weil er fühlt, daß es ihm zur Ausführung und
»realisirung seiner ideen wesentlich nothwendig ist. Man lasse ihn ja eine Zeitlang jener
»Meinung folgen, ist er zu einer höheren Stufe der Kunst von der Natur bestimmt, so
»braucht er nunmehr, da seine Hand geübt ist, das geistige des erhabenen nur zu sehen, um

(3. Seite.) »es nachzuahmen. Er wird von denen Bestandjtheilen und von denen Zügen, die einen
»grossen Charakter bilden, weit richtiger urtheilen, er wird die feinen Verhältnisse der
»schönen Formen tiefer fühlen und ihnen den Geist derselben zu geben wissen, wenn er
»als Anfänger sein Auge und seine Hand an groben mehr in die Sinne fallenden Gegen-
»ständen wird geübt haben. Diß war von jeher meine Meinung, und die Menge von jungen
»Leuten, die ich täglich bei Raphael und den Antiken sich martern sehe, bestärken mich
»darinn. Sie verfehlen ihre Muster, weil sie sie nicht verstehen und weil sie als Anfänger
»sich gerade an das schwerste wagen. Fängt man doch in andern Wissenschaften auch
 
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