Hieronymus Bosch und die Darstellung der vier letzten Dinge.
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Cur der Narrheit, die Blinden auf der Saujagd, den flandrischen Tanz, den Blindenführer und die
Hexe, die jedoch, ausser dem genannten, leider sämmtlich nicht mehr auszuforschen sind. Eine grosse
Tafel war für ihn am 20. Jänner 1568 im Palaste des Prinzen von Oranien, Wilhelm des Schweigsamen,
zu Brüssel confiscirt worden, zur gleichen Stunde, als man dort auch die heute im Prado befindliche
und am meisten bekannte Anbetung der Könige aus dem Hause des Jean de Casembroot holte,1 wo-
durch es kam, dass Philipp am 15. April 1574 dem Escorial unter Anderen neun Bilder des Bosch
übergeben konnte,2 von denen wir heute mit Sicherheit noch sieben bestimmen können, die fast alle
von grosser Bedeutung sind, wenn sie auch, wie wir sehen werden, nicht durchwegs als seine eigen-
händigen Arbeiten die Prüfung bestehen.
In dem Jagdschlosse Pardo sollen sich nach Argote de Molina3 weitere acht Tafeln unseres Mei-
sters befunden haben, die nach der gewöhnlichen Annahme bei dem Brande des Schlosses im Jahre
1608 zu Grunde gingen, und überdies messen ihm die übrigen Inventare4 mit so reichlichem Masse zu,
dass es auf den ersten Blick klar ist, dass man in späterer Zeit hier ebenfalls Alles auf ihn übertragen
hat, was eine Höllenscene, eine spukhafte Heiligenversuchung oder eine Satire auf das Treiben der
Menschen vorstellte.
C. Justis bewährtem Scharfblick ist dies nicht entgangen. Er hat darum auch von den in Spanien
auf den Namen Bosch getauften Werken nur die Anbetung der Könige im Prado, die Dornenkrönung,
die Kreuzschleppung, die Sieben Todsünden, den Heuwagen und die Weltlust im Escorial, das Tri-
ptychon mit den Passionsscenen im Museum zu Valencia, die Versuchung des heil. Antonius im Palais
Ayuda zu Lissabon gelten lassen und hat diese kleine Zahl auf Grund der Stilgleichheit nur um zwei
Stücke, um die Cur der Narrheit (Prado, Nr. 1860) und, von den Bildern ausserhalb Spaniens, um die
Geburt Christi im Kölner Museum, Nr. 187, vermehrt.
Wenn wir damit zusammenhalten, was ein anderer Kritiker behauptete, dass ihm diesseits der
Pyrenäen blos ein einziges echtes Bild des Meisters aufgestossen sei,5 so wäre die Liste seiner Arbeiten
allerdings nicht sehr gross. Und dennoch deucht sie mir noch Vieles zu enthalten, was zu streichen ist.
Bevor ich jedoch näher darauf eingehe, möchte ich einiger wichtigen Notizen gedenken, die uns
bei italienischen Schriftstellern begegnen und die nebst mehreren verschollenen Tafeln zwei Triptycha
betreffen, die mir den Anstoss zur gegenwärtigen Untersuchung und vielleicht die Mittel zur richtigen
Erkenntniss der Thätigkeit unseres Künstlers gegeben haben.
Die eine davon bringt der Anonimo des Morelli in seinem Reisetagebuche.6 Er hat im Jahre
1521 zu Venedig im Hause des Cardinais Grimani ein Bild der Hölle mit mannigfachen Ungeheuern,
ein zweites mit Träumen, Visionen (»delli sogni«) und ein drittes mit der Fortuna und dem Walfische
gesehen, der den Jonas verschlingt. Nach ihm waren alle drei von der Hand des Hieronymus Bosch.
Leider sind sie nicht mehr nachzuweisen. Dafür bin ich jedoch in der glücklichen Lage, zwei weitere
Tafeln, die bis jetzt als verloren galten, dem Meister zurückstellen zu können, und zwar die beiden
Triptycha, die bei der neuen Aufstellung der Wiener Gemäldegallerie im Jahre i8g3 aus dem Depot
genommen und nach gründlicher Reinigung in die kaiserliche Sammlung eingereiht worden sind. Ich
erkenne in ihnen dieselben, die Zanetti7 unter den Gemälden der Sala des Consiglio dei Dieci im
Dogenpalaste aufführt, wo sie schon zu Boschinis Zeit hingen. Nur hat sich eben jener Kunsttopo-
graph bei ihrer Erwähnung einige Fehler zu Schulden kommen lassen. Er erwähnt nämlich blos eines,
das Martyrium einer heil. Jungfrau, und lässt es noch dazu von Girolamo Basi gemalt sein.8 Als daher
1 Pinchart, p. 185.
2 Siehe die Liste bei C. Justi, S. 142.
3 In dem Libro de la Monteria del rey D. Alonso.
4 Die Auszüge bei Justi, S. 143 ff.
5 A. Michiels, Histoire de Ia peinture flamand IV, p. 221. Was er dafür hielt, war ein mir unbekannt gebliebener
»Abstieg Christi in die Hölle« beim Gomte Duchätel zu Paris.
6 Notizie d'opere di disegno, ed. Frizzoni, p. 196.
7 Deila pittura Veneziana, II. ed., parte II, p. 638.
8 Le rieche minere, II impressione, p. 19.
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Cur der Narrheit, die Blinden auf der Saujagd, den flandrischen Tanz, den Blindenführer und die
Hexe, die jedoch, ausser dem genannten, leider sämmtlich nicht mehr auszuforschen sind. Eine grosse
Tafel war für ihn am 20. Jänner 1568 im Palaste des Prinzen von Oranien, Wilhelm des Schweigsamen,
zu Brüssel confiscirt worden, zur gleichen Stunde, als man dort auch die heute im Prado befindliche
und am meisten bekannte Anbetung der Könige aus dem Hause des Jean de Casembroot holte,1 wo-
durch es kam, dass Philipp am 15. April 1574 dem Escorial unter Anderen neun Bilder des Bosch
übergeben konnte,2 von denen wir heute mit Sicherheit noch sieben bestimmen können, die fast alle
von grosser Bedeutung sind, wenn sie auch, wie wir sehen werden, nicht durchwegs als seine eigen-
händigen Arbeiten die Prüfung bestehen.
In dem Jagdschlosse Pardo sollen sich nach Argote de Molina3 weitere acht Tafeln unseres Mei-
sters befunden haben, die nach der gewöhnlichen Annahme bei dem Brande des Schlosses im Jahre
1608 zu Grunde gingen, und überdies messen ihm die übrigen Inventare4 mit so reichlichem Masse zu,
dass es auf den ersten Blick klar ist, dass man in späterer Zeit hier ebenfalls Alles auf ihn übertragen
hat, was eine Höllenscene, eine spukhafte Heiligenversuchung oder eine Satire auf das Treiben der
Menschen vorstellte.
C. Justis bewährtem Scharfblick ist dies nicht entgangen. Er hat darum auch von den in Spanien
auf den Namen Bosch getauften Werken nur die Anbetung der Könige im Prado, die Dornenkrönung,
die Kreuzschleppung, die Sieben Todsünden, den Heuwagen und die Weltlust im Escorial, das Tri-
ptychon mit den Passionsscenen im Museum zu Valencia, die Versuchung des heil. Antonius im Palais
Ayuda zu Lissabon gelten lassen und hat diese kleine Zahl auf Grund der Stilgleichheit nur um zwei
Stücke, um die Cur der Narrheit (Prado, Nr. 1860) und, von den Bildern ausserhalb Spaniens, um die
Geburt Christi im Kölner Museum, Nr. 187, vermehrt.
Wenn wir damit zusammenhalten, was ein anderer Kritiker behauptete, dass ihm diesseits der
Pyrenäen blos ein einziges echtes Bild des Meisters aufgestossen sei,5 so wäre die Liste seiner Arbeiten
allerdings nicht sehr gross. Und dennoch deucht sie mir noch Vieles zu enthalten, was zu streichen ist.
Bevor ich jedoch näher darauf eingehe, möchte ich einiger wichtigen Notizen gedenken, die uns
bei italienischen Schriftstellern begegnen und die nebst mehreren verschollenen Tafeln zwei Triptycha
betreffen, die mir den Anstoss zur gegenwärtigen Untersuchung und vielleicht die Mittel zur richtigen
Erkenntniss der Thätigkeit unseres Künstlers gegeben haben.
Die eine davon bringt der Anonimo des Morelli in seinem Reisetagebuche.6 Er hat im Jahre
1521 zu Venedig im Hause des Cardinais Grimani ein Bild der Hölle mit mannigfachen Ungeheuern,
ein zweites mit Träumen, Visionen (»delli sogni«) und ein drittes mit der Fortuna und dem Walfische
gesehen, der den Jonas verschlingt. Nach ihm waren alle drei von der Hand des Hieronymus Bosch.
Leider sind sie nicht mehr nachzuweisen. Dafür bin ich jedoch in der glücklichen Lage, zwei weitere
Tafeln, die bis jetzt als verloren galten, dem Meister zurückstellen zu können, und zwar die beiden
Triptycha, die bei der neuen Aufstellung der Wiener Gemäldegallerie im Jahre i8g3 aus dem Depot
genommen und nach gründlicher Reinigung in die kaiserliche Sammlung eingereiht worden sind. Ich
erkenne in ihnen dieselben, die Zanetti7 unter den Gemälden der Sala des Consiglio dei Dieci im
Dogenpalaste aufführt, wo sie schon zu Boschinis Zeit hingen. Nur hat sich eben jener Kunsttopo-
graph bei ihrer Erwähnung einige Fehler zu Schulden kommen lassen. Er erwähnt nämlich blos eines,
das Martyrium einer heil. Jungfrau, und lässt es noch dazu von Girolamo Basi gemalt sein.8 Als daher
1 Pinchart, p. 185.
2 Siehe die Liste bei C. Justi, S. 142.
3 In dem Libro de la Monteria del rey D. Alonso.
4 Die Auszüge bei Justi, S. 143 ff.
5 A. Michiels, Histoire de Ia peinture flamand IV, p. 221. Was er dafür hielt, war ein mir unbekannt gebliebener
»Abstieg Christi in die Hölle« beim Gomte Duchätel zu Paris.
6 Notizie d'opere di disegno, ed. Frizzoni, p. 196.
7 Deila pittura Veneziana, II. ed., parte II, p. 638.
8 Le rieche minere, II impressione, p. 19.