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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0015
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IO

Wolfgang Kallab.

Die Aufsicht an diesen ursprünglich wohl naturalistisch gemeinten Bildungen,1 die sich, ihrer
illusionistischen Einkleidung fast ganz beraubt, in die altchristliche Kunst (Wiener Genesis) vererben,
verfolgt den Zweck, eine möglichst plastische Gliederung des Vordergrundes unter Anwendung der
Linearperspective und einer ständigen Lichtführung zu erzielen. Lassen sich auch jene Felsformen
nicht über die italischen Wandgemälde und Mosaiken zurückverfolgen, so gehört doch eines ihrer
wesentlichen Merkmale, die starke Aufsicht, zu den Kunstmitteln jeglicher primitiven Landschaftsdar-
stellung, die das Hintereinander der Dinge im Räume in ein Uebereinander im Bilde aufzulösen strebt.
Beispiele solcher Andeutungen räumlicher Verhältnisse bieten sowohl ägyptische als auch assyrische
Reliefs;2 Spuren derselben finden sich, einer neueren Auslegung zufolge, auf den sogenannten Polygno-
tischen Vasen,3 wo sich die Maler zu einer Art Vogelperspective erheben, wenngleich »auf den besseren
Gefässen überall der Eindruck vermieden ist, als stünde eine Figur auf dem Kopfe der andern«. In der
römischen Kunst lebt diese Raumdarstellung ausser auf den Denkmälern des andeutenden Stiles beson-
ders auf den Fussbodenmosaiken4 fort; die
Perspective des darstellenden Stiles hat sich
von ihrem Einfluss nicht freimachen können.

Dem andeutenden Stil der Landschafts-
darstellung konnte seiner inneren Bedingt-
heit nach keine Entwicklung beschieden
sein. Der Reichthum, die Gestalt der For-
men wechseln; sein Hauptmerkmal, die
zusammenhanglose Nebeneinandersetzung
räumlich getrennter und voneinander ent-
fernter Dinge, bleibt. Trotzdem drängt der
andeutende Stil, dessen Träger von Anfang
an das Relief war, auf die Raumdarstellung
hin; die primitiven Versuche, wie die Ge-
bäudepläne von Teil el-Amarna oder die
assyrischen Kriegschroniken, die auf eine
mehr oder weniger kartenartige Wieder-
gabe der Landschaft hinführen, wurden

Fig. 6. Mosaik aus der Villa Adriana im vaticanischen Museum. schQn Qben erwähnt. Im Wetteifer mit der

Malerei entsteht in der römischen Kunst
eine Zwittergattung, welche sich wesentlicher Momente des darstellenden Stiles, wie der Linearperspec-
tive, bemächtigt und sie auf rohe Weise vereinfacht, ohne doch die Freiheiten der andeutenden Raum-
behandlung aufzuheben. Dieser Mittelstil ist nächst der römischen Malerei die wichtigste Quelle für
die altchristliche und mittelalterliche Tradition. Denn in dem Principe des andeutenden Stiles liegt ein
steter Antrieb zur typischen Stilisirung der Hauptformen der Landschaftsdarstellung; so verdanken ihm
die verkrüppelten Bäume, die winzigen Gebirge, die stereotypen Häuschen und Stadtansichten ihren
Ursprung. Ihrem ersten Auftreten, ihrer Entstehung nachzuforschen, hätte wenig Sinn; sie sind so alt
wie die ersten Versuche, sich der äusseren Welt bildnerisch zu bemächtigen, und finden sich eben-
sowohl auf griechischen wie auf ägyptischen und assyrischen Werken. Für uns kommt nur ihre Ge-
schichte innerhalb des abendländischen Kunstkreises in Betracht.

1 Felsen aus wagrecht geschichteten Platten kommen auch auf den sogenannten hellenistischen Reliefbildern vor; vgl. z.B.
das Relief mit den herabsteigenden Frauen in den königl. Museen zu Berlin (Schreiber, Die hellenistischen Reliefbilder, Taf. XC).

2 Vgl. die Gebäudepläne von Teil el-Amarna bei Prisse d'Avennes, Histoire de l'art Egyptien, Paris 1878; Perrot et
Chipiez, Hist. de l'art ancien I, 737 f.; Layard, The monuments of Niniveh, pl. 69, 70, 81.

3 Schöne im Jahrbuch des kaiserlich deutschen archäol. Institutes VIII (1893), S. 198; Robert, Die Nekyia des Polygnot
{16. Hallisches Winckelmannsprogramm), S. 3g, 43 f.

4 Z. B. auf dem Mosaik von Palestrina (Archäologische Zeitung 1874, S. 127, Taf. 12), dem Mosaik von Sousse
(Gauckler in der Revue Archeologique 1897, S. 21, pl. IX—XII) und von Hadrumetum (ebenda 1892, pl. XXI f.).
 
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