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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0132
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Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara.

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oben die Verkündigung, unten, ähnlich wie in den Statuti dei beccai, der Massaro (Zunftvorstand), seinen
Zunftbrüdern die Statuten vorlesend. Auch hier interessirt vor Allem das Costüm; nur durch eine
etwas belebtere Gruppirung zeichnet sich das Bildchen gegenüber den Statuti dei beccai1 aus. Jeden-
falls war auch Girardus ein Miniator von höchst bescheidenem Können. Sein Name lässt wohl ver-
muthen, dass er ein Ferrarese von Geburt war, wie ja einer der besten Miniatoren des XV. Jahrhun-
derts in Ferrara den Namen Guglielmus Giraldi hat und zwei der bekanntesten Humanisten Ferraras
Lilio Gregorio Giraldi und Cinzio Giraldi heissen.

Aus den unbedeutenden Leistungen der ferraresischen Kunst jener Zeit konnten die Miniatoren
keine Anregung schöpfen; der Anstoss zu einem Aufschwung musste von auswärts kommen. Vorbe-
reitend zu einer Blütezeit war erst Niccolö III. (1393—1441), der uns bereits ins Quattrocento überleitet.

Seinem Wesen nach ein Fürst, der im Geiste des höfischen Mittelalters Ritterlichkeit und Prunk-
liebe verband, hatte Niccolö III. das Glück, in einer Zeit geistiger Umwälzung zu leben. Wenn
er auch selbst an Turnieren und ritterlichen Festen seine grösste Freude fand, so muss es ihm besonders
hoch angerechnet werden, dass er auch den humanistischen Strömungen seiner Zeit verständnisvolles
Interesse entgegenbrachte. Die Erfolge seiner Herrschaft trüben aber seine Grausamkeiten gegen Ver-
schwörer sowie das tragische Ende seiner zweiten Gemahlin Parisina. Als einen ritterlichen Fürsten
zeichnet ihn heroischer Muth aus, von dem er in dem Kampfe seines Schwiegervaters Francesco No-
vello da Carrara gegen Verona glänzende Proben ablegte. Seinem günstigen Einvernehmen mit dem
Papst Eugen IV. ist es zu danken, dass Ferrara zum Sitz des Concils (1437) erwählt wurde, das die
Vereinigung der griechischen und lateinischen Kirche zum Ziele hatte. Mit prunkvollen Festen wurde
die Anwesenheit des Papstes Eugen IV. und des byzantinischen Kaisers Johannes III. Palaeologus
gefeiert, durch die die Stadt an politischer Bedeutung und Ansehen gewann.

Neben seiner politischen Thätigkeit darf sein Sinn für Wissenschaft und Kunst nicht unterschätzt
werden. Treffliche Rechtslehrer, Humanisten, wie Giovanni Aurispa und Guarino da Verona, lehrten
an der Universität, des berühmten Arztes Michele Savonarola nicht zu vergessen, dessen Enkel, Giro-
lamo Savonarola, der gefeiertste Sittenprediger seiner Zeit werden sollte. Nicht hoch genug kann Nic-
colös Fürsorge für die Erziehung seiner Söhne gepriesen werden. Giovanni Aurispa war Meliaduses
Lehrer, während Guarino Niccolös natürlichen Sohn Leonello zu einem der gebildetsten Fürsten des
XV. Jahrhunderts erzog. Aber wenn Niccolö III. selbst auch keine humanistische Erziehung genossen
hatte — verstand er doch nicht Latein —, so besass er doch reges Interesse für die geistige Bewegung
seiner Zeit. Sein Aufenthalt in Pola, wo er die antiken Baudenkmäler besichtigte, lässt ihn schon ganz
als einen Renaissancefürsten erscheinen. Dabei war er ein Förderer der Kunst; er baute unter Anderem
das Castel nuovo, das Lustschloss Belriguardo sowie die Kirche in Belfiore, befestigte die Stadt und
sorgte auch für die Restaurirung seines Palastes in Venedig, des Fondaco dei Turchi. Unter allen
Künstlern, die Ferrara unter Niccolös Regierung in seinen Mauern sah, war wohl Vittore Pisano die
hervorragendste Persönlichkeit. 1435 war er zum ersten Male in Ferrara, das er seither oft besuchte,
malte hier Portraits und an Ferrara knüpft sich die Entstehung der ältesten Medaille des Pisanello, der
des Johannes III. Palaeologus (1438).

Die grösste Fürsorge wendete Niccolö der Bibliothek zu, die er durch zahlreiche Werke be-
reicherte. Ueber die Bestände der Bibliothek Niccolös sind wir eingehend unterrichtet, da wir aus
dem Jahre 1436 ein ausführliches Inventar2 derselben erhalten haben. Es zählt 279 meist auf Per-
gament geschriebene Handschriften auf, unter denen sich auch einige Miniaturhandschriften befanden.
Diese Bereicherung mag wohl vornehmlich auf die Initiative Leonellos und Guarinos zurückzuführen

1 Unter den zahlreichen Statutenhandschriften der Biblioteca comunale zu Ferrara hebe ich hervor aus dem XIV. Jahr-
hundert die Statuti deü' arte dei callegari (calzolai); ferner aus dem XV. Jahrhundert di Statuti dell' arte de' merzari, die
Statuti dell' arte de' fabbri und die Statuti dell' arte dei barbieri e parrucchieri.

2 A. Cappelli, La biblioteca Estense nella prima metä dei secolo XV, im XIV. Bande des Giornale storico della
letteratura italiana (1889). Es ist das Verdienst Luigi Lodis, auf dieses älteste Inventar der Estebibliothek aufmerksam gemacht
zu haben (vgl. Atti e memorie delle RR. deputazioni di storia patria per le province modenesi e parmensi IV, p. XXI); Pio

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