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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0144
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Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara.

denen sich die Signatur der Guinifortus findet, rühren von einem wenig gewandten Miniator her,
dem der Miniator der fünf anderen Corali entschieden überlegen ist. Wenn auch in den Rand-
leisten sichtlich verwandt, so steht wenigstens im Figürlichen der Miniator der beiden Graduale auf
tieferer Stufe. Die Randleisten schmücken zarte Spiralranken mit bunten Blättern, kleinen goldenen
Plättchen und sogenannten Dornblättern (besonders in dem Psalterium J). Einen besonderen Reiz
üben die die Randleisten belebenden Vögel aus, die den Eindruck der Buntheit hervorrufen. In einge-
fügten kleinen Bildchen sind heilige Olivetanermönche, das Olivetanerwappen (ein Kreuz zwischen zwei
Zweigen auf einem dreigipfeligen Hügel) sowie die Patrone von Ferrara St. Maurelius und St. Georg
dargestellt; endlich finden sich auch Scenen aus der heiligen Geschichte. Als ein Beispiel für den Mi-
niator der beiden Graduale führe ich das Titelblatt des Graduales L an (Tafel X); das Initialbild (Ini-
tiale A) mit einer Illustration des Psalmes: »Ad te levavi animam meam« zeigt die ganze Unbeholfen-
heit des Miniators; die kindische Landschaft mit den Burgen auf den Höhen, die stilisirten Wolken
sowie die Roheit des Colorits machen einen geradezu dilettantischen Eindruck. Am besten ist noch
die Verkündigung Marias (oben in der Randleiste) gelungen, in der die Madonna entfernt an den Stil
der Fresken des Michelino Besozzo (?) im Palazzo Borromeo zu Mailand erinnert.1 Es ist nicht ausge-
schlossen, dass wenigstens die Miniaturen der beiden Graduale von dem als Kalligraphen tüchtigen, als
Miniator aber unbeholfenen Guinifortus herrühren, während die übrigen Corali von einem Miniator
geschmückt wurden, dessen Bildchen vielfach an den Stil des Trecento erinnern aber durch sorgfältige
Ausführung und sichere Zeichnung hervorragen. Zu den besten Leistungen dieses Meisters gehört die
Miniatur zum Psalm: »Dixit dominus domino meo« auf f. 63 des Psalteriums J. Im Grossen und
Ganzen nehmen aber diese Miniaturen keinen besonders hohen Rang ein und sind für die ferrare-
sische Miniaturmalerei von untergeordneter Bedeutung, zumal an der Ausführung keine Ferraresen be-
theiligt gewesen zu sein scheinen. Bezeichnet sich Guinifortus de Vicomercato selbst als Mediolanensis, so
weist eine Aehnlichkeit des Stilcharakters der Randleisten mit einigen Codices der Biblioteca Braidense
wieder nach der Lombardei. Ich nenne als Beispiele aus der Brerabibliothek den Codex A. G. XII. 3
(ein Missale aus S. Stefano in Brolio in Mailand), dann die beiden Bände A. E. XIV. 19—20 (Vita di
santi compendiate e commenti sulle solennitä della chiesa Cattolica aus der Certosa von Pavia), end-
lich ein Graduale eines Camaldulenserconvents (Arm. I. 28). Verwandt erscheint auch ein Officium
der Biblioteca Estense in Modena (Cod. lat. DCCCXXXI), vermuthlich aus dem Olivetanerconvent S. Mi-
chele in Bosco zu Bologna, wo ja lombardische Miniatoren im XV. Jahrhundert thätig waren. Für die
Verbreitung dieser Ausschmückung mit den bunten, reiherartigen Vögeln ist eine für die Gonzaga aus-
geführte Handschrift der Wiener Hofbibliothek der Vita Christi des Ludolphus de Saxonia (Cod.
Nr. 1379) charakteristisch, in der freilich die reizenden musicirenden Putten, welche die Initiale F
(f. 1') mit dem Bilde des Autors umgeben, künstlerisch weit über den Olivetanercorali in Ferrara
stehen. Ich neige daher zu der Ansicht, dass die Corali der Olivetaner dem lombardischen Kunstkreise
angehören.

Als charakteristisch für den Kunstgeschmack Leonellos müssen die Werke des Giorgio Tedesco
und seiner Mitarbeiter betrachtet werden. Sind sie uns auch nicht erhalten, so wird die folgende Unter-
suchung zeigen, wie bedeutend die Miniatoren gewesen sind, die Leonello für seine Aufträge ver-
wendete. Gegenüber den tastenden Versuchen der Zeit Niccolös III. zeigt jene Leonellos ein zielsicheres
Streben, der heimischen Kunst durch Heranziehung hervorragender Künstler von auswärts Anregung
zu bieten. Pisanello und Giorgio Tedesco waren die stilbestimmenden Künstler, deren Einfiuss sich
auch noch unter Borso bemerkbar macht, um erst einer auf Mantegna und Piero della Francesca ba-
sirenden localferraresischen Schule der Miniaturmalerei zu weichen, deren Höhepunkt die Corali der
Certosa bezeichnen.

1 Der Anonymus des Morelli (Notizia di opere di disegno pubblicata da D. Jacopo Morelli, Bassano 1800, p. 81)
erwähnt ein »libretto in quarlo in cavretto con Ii animali coloriti; fu de mano de Michelino Milanese«, den Girolamo d'Adda mit
dem Autor der Fresken des Palazzo Borromeo identificirt; vgl. Adda, Une famille d'artistes lombards au XIV0 et au XV0
siecle, mit schlechten Abbildungen der Fresken, in L'Art 1882, tome II (tome XXIX).
 
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