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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0147
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Hermann Julius Hermann.

Certosa (1796 aufgehoben), konnte 1461 eingeweiht werden. Dem Markgrafen Niccolö III. wurde eine
Reiterstatue errichtet, der Hochaltar des Domes mit lebensgrossen Bronzefiguren geschmückt und Ba-
roncelli fertigte die Statue des Herzogs Borso selbst, als das erste Denkmal Italiens, das sich ein Herr-
scher selbst gesetzt hat.

Besonderes Interesse beansprucht die Entwicklung der Malerei. Zu den Anregungen, die der
heimischen Kunst unter Leonello durch Pisanello, Mantegna, Jacopo Bellini und Roger van derWeyden
geboten wurden, kam noch der Eindruck, den Piero della Francescas Fresken im Palazzo Schifa-
noja und in S. Agostino auf die jungen Maler machten. Mantegna und Piero della Francesca
gaben der ferraresischen Malerei das Gepräge, das sich in der sogenannten älteren Schule von Ferrara
ausspricht, als deren charakteristischeste Vertreter Cosimo Tura und Francesco Cossa erscheinen. Da-
neben ist, wie sich nicht verkennen lässt, der Aufenthalt zahlreicher französischer und flandrischer
Künstler nicht ohne Wirkung geblieben. Roger van der Weyden selbst war in Ferrara und neben
ihm entfalteten zahlreiche flandrische Gobelinweber, darunter Pietro und Livino di Fiandra, eine rege
Thätigkeit.1 Ueberhaupt macht sich auf allen Gebieten künstlerischen Schaffens ein Aufschwung be-
merkbar. Von Mailand, der berühmten Pflegestätte der Waffenschmiedekunst, kamen Plattner; Intarsia
und Medaillen wurden in trefflichen Exemplaren hergestellt. Im Mittelpunkt der ganzen Kunstbewe-
gung stand aber die Malerei mit Tura und Cossa an der Spitze. Cosimo Tura (circa 1432—1495)1
Ferraras Mantegna, war der bevorzugte Maler des Hofes.2 Zunächst für kleinere kunstgewerbliche
Arbeiten beschäftigt, malte er 1457 Cartons für Livino für Gobelins mit den herzoglichen Emblemen,
Blattranken und Thieren; dann finden wir ihn mit der Ausschmückung des Studio des Herzogs in Bel-
fiore beschäftigt; etwas später malte er in der Bibliothek des Pico di Mirandola,3 schuf 1469 die beiden
Orgelflügel des Domes, um sich dann mit besonderem Eifer der Ausschmückung der Kapelle in Belri-
guardo zu widmen, wozu ihm Gentile da Fabrianos Fresken im Broletto zu Brescia als Vorbild dienen
sollten. Noch unter Ercole I. finden wir Tura für den Hof thätig; er malt Portraits, arbeitet an der
Decoration des Arbeitszimmers des Herzogs und schafft jene grosse Altartafel des Cardinais Rove-
rella, deren Theile die Nationalgallerie in London sowie die Galleria Colonna in Rom schmücken.
An künstlerischem Werth ebenbürtig erscheint Francesco Cossa (circa 1430—1480).4 Wenn auch
die ungünstige Stimmung des Hofes den Künstler veranlasste, von Ferrara nach Bologna zu wandern,
um hier einer der geschätztesten Meister seiner Zeit zu werden, so besitzt Ferrara doch von ihm das
Hauptwerk seines Lebens, zugleich das grösste Monumentalwerk der älteren Schule von Ferrara, die
Fresken des Palazzo Schifanoja.5 Noch in ihrer fragmentirten Erhaltung — die Fresken der
West- und Südwand sind bekanntlich zerstört — machen die räthselhaften, phantastischen Wand-
gemälde einen grossartigen Eindruck. Gegenüber den Fresken der Nordwand, die Schülern des Tura an-
zugehören scheinen, zeugen die Bilder der Ostwand, als deren Autor sich Cossa selbst in einem Briefe6

1 Vgl. Marchese Giuseppe Campori, L'Arrazzeria Estense, in Atti e memorie delle RR. deputazioni di storia patria per
le provincie modenesi e parmensi, vol. VIII (1876), p. 415 fr.

2 Vgl. A. Venturi, Cosma Tura, mit einem Verzeichnis der Werke von Fr. Harck im IX. Bande des Jahrbuches der
preussischen Kunstsammlungen.

3 Vgl. den Anhang (die Gemälde des Cosimo Tura in der Bibliothek des Pico von Mirandola) zu meinem Aufsatz
über »Miniaturhandschriften aus der Bibliothek des Herzogs Andrea Matteo III. Acquaviva«, im XIX. Bande des Jahrbuches
der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, S. 207 f.

4 A. Venturi, Les arts ä la cour de Ferrare, Francesco Cossa, in L'Art 1888, I, p. 73, tome XLIV.

5 Ueber die Fresken des Palazzo Schifanoja ist bereits eine ganze Literatur angewachsen, ohne dass eine befriedigende
Erklärung gefunden wurde. Ausser Laderchi, Cittadella, Baruffaldi, Avventi u. a. seien erwähnt: Fr. Harck, Die Fresken im
Palazzo Schifanoja, Jahrbuch der preussischen Kunstsammlungen, V. Band; G. Gruyer, Le palais de Schifanoja, in Revue des
deux mondes 1883 und in desselben L'art ferrarais pendant l'epoque des princes d'Este, tome I, p. 419—468; endlich A. Venturi,
Gli affreschi del palazzo di Schifanoja in Ferrara, secondo recenti pubblicazioni e nuove ricerche, in Atti e memorie della
R. deputazione di storia patria per le provincie di Romagna, ser. III, vol. III (1885), p. 38lff., der den oben erwähnten
Codex lat. DCXCVII sowie den später zu erwähnenden Codex lat. CCIX der Biblioteca Estense zu Modena heranzog, jedoch
ohne eine Erklärung festzustellen.

6 Publicirt von A. Venturi im »Kunstfreund« 1883 und G. Campori, I pittori degli Estensi, in Atti e memorie delle RR.
deputazione di storia patria per le provincie modenese e parmensi, ser. III, tom. III (1885).
 
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