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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0078
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Alois Riegl.

Werke allezeit entschieden abgelehnt; es hat also keinen Geschmack daran gefunden. Man braucht
auch nicht lange darüber nachzudenken, wodurch wohl diese ablehnende Haltung begründet gewesen
sein mag; denn das handlungslose Nebeneinander der Figuren oder ihre abgerissenen, auf halbem Wege
ins Stocken gerathenen Handlungen, wenn solche vorkommen, wirken oft schon auf den oberfläch-
lichen modernen Beschauer theils langweilig, theils durch die anscheinende Unmotiviertheit gerade-
wegs anstössig und auf das unter romanischen Kunsteinflüssen gestandene europäische Publicum der
letztverflossenen zwei Jahrhunderte kann der Eindruck mindestens kein günstigerer gewesen sein. Es
ergibt sich hieraus die kunsthistorische Thatsache, dass das Gruppenporträt allezeit eine holländische
Specialität gebildet hat. Doch was verstehen wir überhaupt unter dieser Kunstgattung?

Das Charakteristische des Gruppenporträts ist die Mehrzahl der in ein Bild vereinigten Porträt-
figuren, wodurch es zum Einzelporträt in Gegensatz tritt. Das Familienporträt, das uns in der Kunst-
geschichte so häufig begegnet, bleibt davon ausgeschlossen; denn es bildet im Grunde blos ein erweitertes
Einzelporträt. Mann und Frau sind gleichsam zwei Seiten eines und desselben Wesens und die Kinder
deren wesensgleiche Vervielfältigungen; sie gehören also schon körperlich von Naturwegen zusammen
und es bedarf keiner besonderen Mittel der Auffassung und Composition, um sie im Kunstwerk als eine
Einheit wiederzugeben. Das Familienporträt ist darum auch so alt als das Einzelporträt: es begegnet schon
im frühesten Alterthum, bei den Aegyptern des alten Reiches und später namentlich bei den Römern.
Aus dem gleichen Grunde ist das Freundschaftsporträt auszuscheiden, das zwei, drei oder noch mehr
durch blosse Zuneigung einander verbundene Personen gruppenweise vorführt und bei den Italienern
und Flamen vorkommt. Die Gruppe, um die es sich bei den Holländern gehandelt hat, war vielmehr
aus lauter völlig selbständigen Individuen gebildet, die sich nur zur Erlangung eines bestimmten ge-
meinsamen, praktischen, aber dabei doch gemeinnützigen Zweckes zu einer Corporation vereinigten
und im Uebrigen jedes für sich gefasst sein wollten. Das holländische Gruppenporträt besteht also
im Grunde aus einer Anzahl von Einzelporträten; aber anderseits sollte doch zugleich auch der Cha-
rakter der Vereinigung, des temporären Zusammenschlusses zu einer Einheit im Bilde zum sinnfälligen
Ausdrucke gelangen. Das holländische Gruppenporträt ist also weder ein erweitertes Einzelporträt
noch eine sozusagen mechanische Zusammenstellung von Einzelporträten in ein Tableau: es ist viel-
mehr die Darstellung einer freiwilligen Corporation aus selbständigen unabhängigen Individuen. Man
könnte es auch als Corporationsporträt bezeichnen.

Corporationswesen und Gruppenporträtmalerei stehen also im demokratischen Holland wechsel-
seitig in engen Beziehungen und ihre Schicksale sind unauflöslich mit einander verknüpft. Ihre strenge
Periode, die Zeit des Knospens, gekennzeichnet durch die Vorherrschaft der demokratischen Gleich-
heit und des streng Porträtmässigen gegenüber Commando und Einheitszwang, fällt in die letzten De-
cennien vor dem Ausbruche der Glaubenskriege. Mit dem Unabhängigkeitskampfe kam in das Corpo-
rationswesen ein strafferer Zug zur Subordination, der sich auch in der Auffassung und Composition der
Gruppenporträte deutlich verräth und auf beiden Gebieten die Einheit auf Kosten der Individualität
begünstigt, ohne dass diese gleichwohl jemals völlig preisgegeben worden wäre. Die Folge war eine
unvergleichliche Blüthe beider, die etwa bis zum Abschlüsse des westphälischen Friedens währte.
Dann sehen wir gleichmässig da und dort einen Verfall eintreten und seit der Restauration der Oranier
am Anfange der Siebzigerjahre des XVII. Jahrhunderts haben beide das Wesentlichste ihrer Bedeutung
bereits eingebüsst, wiewohl sie durch das ganze XVIII. Jahrhundert bis in die napoleonische Zeit das
Dasein gefristet haben. Wer sich nun jeweilig mit der nächsten Ursache begnügt, kann die unbestreit-
bare Wechselbeziehung zwischen Corporationswesen und Gruppenporträt als eine causale fassen: das
zweite wäre dann einfach durch das erste bedingt gewesen. Richtiger dürfte es allerdings sein, beide
als parallele Folgeerscheinungen eines höheren Dritten anzusehen, das auch auf allen übrigen Gebieten
des holländischen Culturlebens analoge Erscheinungen hervorgebracht hat; es erscheint nur fraglich,
ob für die Nennung jenes Dritten in widerspruchsfreier Weise bereits die Zeit gekommen ist, weshalb
sich unsere Untersuchungen auf die Betrachtung der Entwicklung innerhalb der Gruppenporträtmalerei
allein beschränken sollen.
 
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