Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0095
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das holländische Gruppenporträt.

89

Fig. 5. Jan van Score!. Die Utrechter Jerusalemfahrer aus den Jahren 1520 bis 1524.
Utrecht, Museum Kunstliefde. — Rechte Hälfte.

wegen. Es ist die Darstellung eines einzelnen Ereignisses, dessen Bedeutung im Cultus wurzelt, und
insoferne ist die Auffassung noch immer eine historienhafte, wie bei Geertgen. Insoferne aber das
heilige Grab nur in effigie gezeigt wird, ist die Darstellung eine symbolische und darin berührt sie
sich bereits, wie wir später sehen werden, mit dem ältesten reinen Gruppenporträt. Wiewohl nun den
Figuren durch die Handlung eine einzige ganz bestimmte Richtung angewiesen war, herrscht doch in
den Wendungen der Köpfe weit mehr Abwechslung als in Geertgens Gruppe der Johanniter. Die Köpfe
sind durchaus nicht alle in der Richtung der Procession gehalten sondern zum Theil gegen den Beschauer
heraus und einer sogar rückwärts gewendet; die Augen aber folgen in der Richtung stets dem Kopfe.
Es ist dadurch eine Beweglichkeit und zugleich eine Einheit in der Bewegung der einzelnen Figuren
für sich erreicht, die den Dualismus gänzlich überwunden erscheinen lässt und allein schon den Italien-
fahrer verräth. Justi hat diese Porträtfiguren wohl zu hart beurtheilt, wenn er ihnen Leben gänzlich
absprach. Ihre Wendungen nannte er sehr einförmig, was sie vielleicht sind, wenn man die Utrechter
Bilder daneben hält; kommt man aber von Geertgens Johanniterporträt, so ist der Fortschritt in der
subjectiven Auffassung ein frappanter. Man muss nur jeden Kopf mit demjenigen seiner Nachbarn
vergleichen und wird sich bald überzeugen, dass sie nicht blos in der äusseren Bildung sondern auch
in der Haltung und im psychischen Charakter durchaus individuell aufgefasst sind. Und was das Wich-
tigste ist: der Gemüthsausdruck, der aus den Blicken spricht, hat unter der grösseren Beweglichkeit
keineswegs gelitten. Freilich, was ein Italiener in diese Mienen gelegt hätte, fehlt gänzlich; denn es
ist weder ein gedankenloses Zurschautragen der scfiönen eigenen Persönlichkeit noch eine inbrünstige
Andacht, weder Wille noch Gefühl, was aus diesen Blicken spricht, sondern ein ernstes gesammeltes
Innenleben, das zugleich der Aussenwelt offen steht; mit einem Worte: die Aufmerksamkeit. Diejenigen,
die geradeaus auf den Beschauer blicken, wie der vierte, siebente und neunte der Reihe, wirken am
wenigsten intim, weil sie zuviel vom Auge sehen lassen; blos in seinen eigenen Blick hat der Meister
zugleich die Lebhaftigkeit directen Verkehrs und die Innigkeit zu legen gewusst. Die Hände sind da-
gegen merkwürdig zurückgedrängt; man sieht solche nur von fünf Figuren. Drei darunter umfassen
damit ihre Palmzweige. Einer faltet andachtsvoll beide Hände zum Gebet; der Vorderste, mit dem
Indianergesicht, hält die Linke vor sich ausgestreckt, als ob etwas sein Staunen erregen würde: man
kann dabei nur an das heilige Grab denken, an das er als der Erste herantritt und das nun seine Aufmerk-
samkeit hervorruft. Der Vierte endlich im Zuge, der nach der Richtung des Beschauers herausblickt,
hält die Linke mit gespreizten Fingern vor sich hin, als wenn er damit vorwärts, in der Richtung der
Procession deuten würde und die Aufmerksamkeit eines Zuschauers darauf lenken wollte; doch ist der
ganze Gestus blos schüchtern angedeutet und von der Hand obendrein nur die Hälfte sichtbar.

Wenn nun der Auffassung zweifellos eine gemeinsame Handlung zu Grunde liegt und daran
nicht blos drei sondern alle zwölf Figuren betheiligt sind, so bedeutet dies gegenüber Geertgens Johan-
nitergruppe eine gewisse Entfernung von der holländischen Handlungsscheu; indem aber alle Zwölf

i3*
 
Annotationen