Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0101
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das holländische Gruppenporträt.

95

Antony Mors

ja heute schon sein mag und so sicher diese Bilder mindestens auf den von Scorel in Haarlem ge-
gebenen Anstoss zurückgehen.

So holländisch uns nun nach einer Seite die Porträtkunst Scorels entgegengetreten war, so schien
sie uns doch nach anderer Seite von der nationalen Richtung nach der italienischen hin abzuführen. Gr"PP™p°rträt

der TJtrechter

Was Scorel vorschwebte, war die Vereinigung der Aufmerksamkeit mit der Grösse, der Selbstentäusse- Jerusaicmfahrcr.
rung mit der Selbstabschliessung. Dieses Resultat wurde in vollkommenerer Weise als von ihm selbst, der
offenbar über das altholländische Wesen niemals gänzlich hinausgelangen konnte, erreicht durch seinen
Schüler Antony Mor, dem wohl mit Recht das letzte der Utrechter Gruppenporträte (Fig. 10) mit fünf
Grabespilgern aus dem Jahre 1541 zugeschrieben wird. Es ist offenbar ein Jugendbild des Meisters;
aber die Züge, die seine Werke später charakterisieren sollten, sind schon hier klar ausgesprochen.
Wiewohl die Figuren fast sämmtlich nach verschiedenen Richtungen schauen, trifft keines Einzigen
Blick direct das Auge des Beschauers, womit der subjective Verkehr wieder unterbunden erscheint. Die
Figuren sind überhaupt wieder etwas zurückgeschoben: unten erscheinen sie als wirkliche Halbfiguren,
oben mit ihren Kopfbedeckungen dargestellt. In der geschlossenen körperlichen Erscheinung übertreffen
diese Köpfe alle Scorel'schen; aber es fehlt ihnen die Gemüthstiefe jener. Auch die preciöse Art, wie sie
die Palmwedel und Kreuze mit den Fingern fassen, beweist, dass sie nach aussen als abgerundete Per-
sönlichkeiten gelten, dem Beschauer imponieren wollen. Mit diesem italienischen Bestreben mischt
sich aber namentlich in den beiden Jünglingen jener sinnige nordische Ausdruck, den Mor späterhin
freilich gegen das Bestreben nach Grösse hat zurücktreten lassen, ohne gleichwohl selbst in dieser je-
mals blos das äusserlich Packende zu suchen.

Damit hatte die Utrechter Schule in eine Richtung eingelenkt, die der flämischen nahezu parallel
lief: Mors Problem in der Porträtmalerei hat dann später Rubens wieder aufgegriffen und freilich mit
ganz anderen Mitteln aufs Neue gelöst. Die national-holländische Porträtmalerei hatte von Utrecht
nichts mehr zu erwarten. Sobald das religiöse Moment aus derselben verschwunden war, hatten die
Utrechter Meister überhaupt das Interesse daran verloren und die wenigen Schützenstücke, die Moreelse
dort im XVII. Jahrhundert gemalt hat, bilden eine späte und vereinzelte, erst noch zu erklärende Aus-
nahme. Aber auch andere Städte Hollands erwiesen sich vorerst unfähig zur Begründung eines reinen
Gruppenporträts, sobald der Romanismus darin sein Lager aufgeschlagen hatte. Dies gilt insbesondere
von Haarlem, dem damals unter den nordholländischen Städten die grösste Bedeutung zukam. Nur eine
Stadt wusste sich dort zunächst verhältnismässig in einseitiger nationaler Isolierung zu erhalten: die
Lagunenstadt an der Amstel. Ihr gebührt auch der Ruhm, das echte Gruppenporträt hervorgebracht
und in der ältesten, den Glaubenskriegen vorangehenden Periode allein unter allen holländischen
Städten gepflegt zu haben.

Es wurde an früherer Stelle (S. 84) ausgeführt, dass die italienische Malerei niemals ein wirk- Das
liches Gruppenporträt hervorbringen konnte, weil sie eine Malerei der Handlung, d. h. des Willens
oder des damit egoistisch verquickten Gefühles, war und daher für die Voraussetzung der Gruppen-
porträtmalerei — die interesselose Aufmerksamkeit — kein tieferes Verständnis zu fassen vermochte.
Nun gibt es aber innerhalb der italienischen Malerei wenigstens ein Gebiet — das venezianische —,
das von der allgemeinen Regel eine Ausnahme zu machen scheint. Bereits Jakob Burckhardt hatte die
venezianische Malerei des XVI. Jahrhunderts als eine Existenzmalerei bezeichnet und sie damit zu der
Handlungs- und Gefühlsmalerei namentlich der Florentiner in scharfen Gegensatz gebracht. Damit
war bis zu gewissem Grade die Voraussetzung für die Ausbildung eines Gruppenporträts geschaffen und
wir haben uns daher zu fragen, inwieferne ein solches in Venedig in der That zu Stande gekommen ist.

Da ist vor Allem sofort einschränkend zu bemerken, dass Existenzmalerei noch nicht gleich-
bedeutend ist mit Stimmungsmalerei, auf der allein sich ein wirkliches Gruppenporträt hätte aufbauen
können. Das Charakteristische der venezianischen Malerei ist die Ausschaltung des Gefühls, das heisst
der inneren Bewegung. Daraus erklärt sich hauptsächlich jene äussere Ruhe der »Existenz«, die uns
Moderne zwar oft so stimmungsvoll anmuthet wie eine wirkliche selbstlose Aufmerksamkeit, der aber
thatsächlich die isolierende Willenstendenz der Romanen zu Grunde liegt. Die Ruhe der venezianischen

xxiii. 14

venezianische
Gruppenporträt.
 
Annotationen