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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0103
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Das holländische Gruppenporträt.

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allein gönnte, war die Haupttriebfeder der Vereinigung. Wie schon an einleitender Stelle (S. 71) bemerkt
wurde, ist man auch in den südlichen, dem romanischen Einflüsse offen gebliebenen Niederlanden über
diesen Standpunkt nicht hinausgelangt. Wie wir die flämischen Schützengesellschaften des XVII. Jahr-
hunderts zum Unterschiede von den holländischen ihre halbgeistliche Organisation aufrechterhalten und
die Verwaltung der irdischen Angelegenheiten dem Herrgott und der hohen Obrigkeit überlassen sehen,
so gilt Aehnliches in übertragenem Sinne auch
von den Confratelli der venezianischen Scuole:
nur um des Seelenheiles willen suchen sie die Co-
operation mit Anderen und dieses Seelenheil ist
eben strengste Privatsache.

Wir werden somit vom venezianischen
Gruppenporträt, das namentlich aus der Werk-
statt des Jacopo und des Domenico Tintoretto
hervorgegangen ist, von vorneherein erwarten,
dass es in der Auffassung etwa auf dem Stand-
punkte von Jan van Scorels Jerusalemfahrern
stehen geblieben sein muss. Es bildet in der
Kunstgeschichte blos eine episodische Erschei-
nung, zu deren näherer Erörterung für uns, die
wir das nordische Gruppenporträt kennen lernen
wollen, kein Grund vorliegt. Nur um für den
eigentlichen Gegenstand unserer Untersuchung
durch Vergleich mit einem anders gearteten
eine wirksame Folie zu gewinnen, soll hier an
einem Beispiele mit wenigen Worten der Cha-
rakter der venezianischen Gruppenporträte an-
gedeutet werden. Hiezu mögen uns zwei Bilder
mit je achtzehn Confratelli in der k. k. Akade-
mie der bildenden Künste zu Wien (Katalog
Nr. 2 und 3) dienen, die nach Ludwigs Ermitt-
lungen aus dem königlichen Staatsarchive zu
Venedig (Jahrbuch XXII, Heft 6, S. XV, Nr. 53)
ursprünglich der Scuola dei Mercanti bei Ma-
donna dell' Orto zu Venedig angehört haben
und von Domenico Tintoretto stammen sollen,
aber der vortrefflichen Behandlung der Köpfe
halber bis vor Kurzem unbedenklich für Werke
des Jacopo Tintoretto gegolten hatten. Diese

Bilder veranschaulichen uns die weiteste und vollkommenste Entwicklung der venezianischen Gruppen-
porträtmalerei; vorangegangen sind ihr solche Bilder, die z. B. drei Procuratoren von San Marco vor
der Madonna zeigen und somit etwa jenen Bildern Memlings mit Spitalvorstehern und -Vorsteherinnen
parallel laufen, wobei nur auffallend bleibt, dass dieses Stadium im Süden um so viel später als im
Norden erreicht worden ist. In solchen Darstellungen sind die Porträtierten mit dem Andachtsbilde
noch in eins verbunden; auf den Bildern Fig. 11 und 12 hingegen sind die ersteren bereits ohne heilige
Figuren dargestellt; aber es ist sofort klar, dass diese Bilder für sich allein keinen vollkommenen Sinn
geben. Sie bilden vielmehr zwei Flügel, zwischen denen ein mittleres Andachtsbild zu vermuthen ist.
Ob ein solches vorhanden war, wird uns zwar nicht ausdrücklich berichtet; aber selbst wenn es keines
gegeben hätte, wäre doch wohl vom Anbeginn der Gedanke maassgebend gewesen, dass sich der Be-
schauer den Gegenstand der beiderseitigen Andacht zu ergänzen habe.

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Fig. 12. Domenico Tintoretto. Achtzehn Confratelli der Scuola
dei Mercanti zu Venedig.

K. k. Akademie der bildendeu Künste zu Wien.
 
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