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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0121
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Das holländische Gruppenporträt.

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besten. Bei Dirk Jacobsz verräth sie sich hauptsächlich durch die Innigkeit des Blickes, bei Teunissen
vorwiegend durch äussere Wendungen, Bewegungen des Oberkörpers, des Kopfes, der Augen. Die
letzteren waren zwar schon bei Dirk Jacobsz vorgekommen, aber in sparsamer Verwendung, und —
was wichtiger ist — trugen sie bei ihm noch einen gezwungenen Charakter zur Schau, als ob Rumpf,
Kopf und Augen je einem verschiedenen Impulse folgten. Bei Teunissen ist aber die Bewegung bereits
eine weit einheitlichere: wenigstens die Augen folgen fast durchaus der Kopfrichtung und es fehlt
daher an jenen künstlichen Augenverdrehungen, wie sie noch Dirk Jacobsz in der unteren Reihe seiner
Figuren wiederholt zur Schau gebracht hat. Also auch in dieser Richtung erweist sich Teunissen als
der vorgeschrittenste unter allen Dreien, Dirk Jacobsz dagegen als der am strengsten porträtmässige.

Und genau das gleiche Verhältnis nehmen die drei Meister endlich zum Raumproblem ein. Aber-
mals erweist sich der Meister von 1531 als der stationärste unter ihnen. Obzwar man auf seinem Bilde
mehr Landschaft sieht als bei den anderen, spielt dieselbe doch gewissermaassen blos die Rolle eines
Symbols: es fehlt an der überzeugenden Verbindung zwischen Figuren und Landschaft, und dass die
Figuren in freier Luft stehen, wird dem Beschauer durch nichts deutlich gemacht; selbst eine Ver-
bindung mit der deckenden Schrankenbrüstung davor (durch Handaufstützen o. dgl.) ist unterlassen.
Die Figuren hingegen sind zwar senkrecht zum Beschauer in perspectivischen Reihen aufgestellt, was
kein anderer Meister versucht hat, dafür aber auch strenger in eine Ebene componiert als bei den
Anderen und das in der Mitte ausgesparte Raumcentrum bleibt mindestens für unsere moderne Em-
pfindungsfähigkeit fast wirkungslos. Teunissen umgekehrt sucht Figuren und Raum in bewusster Ab-
sicht miteinander zu verbinden: er schafft ein ungeheures Raumcentrum im Tisch und eine stufenweise
Verbindung mit dem unendlichen Räume dahinter durch Figurenreihen, Wand, Fenster und Land-
schaft. Hier werden wir uns dessen bewusst, dass wir uns in einem geschlossenen Innenraume befinden,
in dem ein grosser Tisch Platz hat. Es berührt uns aber störend, dass der Tisch so gross ist und die
Figuren zwischen ihm und der Wand dahinter eingeklemmt erscheinen. Damit ist gesagt, dass Teunissen
das Raumproblem hauptsächlich dadurch zu lösen gesucht hat, dass er das Raumcentrum, d. i. ge-
wissermaassen den zum Körper geformten Freiraum, recht nachdrücklich betont, den zwischen den
Körpern circulierenden Freiraum aber vernachlässigt hat. Auf solche Weise haben aber, wie schon
früher gesagt wurde, die Italiener das Problem angefasst und es zeigt sich hier, dass nicht allein Dirk
Jacobsz, wie wir schon sahen, sondern auch Cornelis Teunissen die Wege des Manierismus wandeln
musste, weil eben das Zeitproblem es erforderte. Aeusserlich macht sich zwar dasjenige, was wir Ma-
nierismus im engeren Sinne nennen, gerade bei Teunissen weniger bemerkbar, hauptsächlich weil die
Figuren um der angestrebten Porträtmässigkeit willen trotz der gewonnenen grösseren Biegsamkeit
lrn Allgemeinen noch immer eine verticale Haltung behaupten, an Stelle der Diagonalen und Verkür-
zungen, die sich in den gleichzeitigen Historienbildern der Niederländer allmählig breit zu machen
beginnen. Aber die grundsätzliche Richtung ist die gleiche und die einheitlichere Bewegung der Figu-
ren, die schon gerühmt wurde (z. B. an dem Schützen mit dem Notenblatt) ist vielleicht eine directe
Frucht italienischen Beispiels.

Dirk Jacobsz endlich verhält sich dem Raumproblem gegenüber weit maassvoller als Teunissen;
aber auch das Auseinanderfallen von Figuren und Raum, wie es der älteren niederländischen Kunst
eigen gewesen war und uns noch beim Meister von 1531 begegnete, sucht er zu vermeiden, und zwar
auf dem Wege, dass er den Raum auf ein Minimum einschränkt und sich auf solche Weise seine Ver-
bindung mit den Figuren erleichtert. Man sieht nur ein Stückchen Wand und zwei Schranken, von
einer derselben sogar blos die Brüstung; aber die Figuren lehnen und stützen sich zum Theil darauf,
so dass der räumliche Zusammenhang nicht unklar bleibt, freilich auch in keiner Weise sich lauter
bemerkbar macht. Das keilförmige Raumcentrum fanden wir hier ebenfalls schon angedeutet, aber
n°ch nicht entfernt so zum Hauptaccent gemacht wie bei Teunissen.

Die allgemeine Entwicklungstendenz erscheint hienach darauf gerichtet, die Figuren physisch
mit dem umgebenden Freiraume, psychisch mit der Aussenwelt zu verbinden: beides subjectivistische
Tendenzen. Es liegt in der Natur der Sache, dass man das angestrebte Ziel zunächst durch äusserliche,
 
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