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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0124
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11 s

Alois Riegl.

dürfnis gesteigerter Berücksichtigung des Tiefraumes ihm jetzt das Interieur mit den zwei Schranken
zu eng erscheinen liess. Jedenfalls hat er aber seine Aufgabe ganz anders gelöst als der Meister von
1531. Seine Figuren stossen mit dem Scheitel der Köpfe der hintersten Reihe nahezu an den oberen
Rand des Bildes, so dass für die gothisierenden Bergzacken in der Ferne von vorneherein kein Raum
übrig blieb. Man sieht nur Baummassen zwischen den vier hintersten (obersten) Köpfen auftauchen
und ganz links, wo ein freier Raum über der mittleren Kopfreihe übrig geblieben war, erscheinen
Bäume hincomponiert, deren Kronen ebenfalls durch den Rahmen einfach horizontal abgeschnitten
werden; diese Bäume bedeuten zugleich landschaftliche Elemente von geringerer Entfernung als die
verdämmernden Berglandschaften der früheren Bilder und dadurch werden Figuren und Landschaft
jetzt näher zusammengerückt und somit verbunden; ein Baumstamm hart am linken Rande bildet sogar
unmittelbar einen vermittelnden Uebergang zwischen beiden. Durch Einschränkung und Näherrückung
der Landschaft suchte also Dirk Jacobsz hier offenbar eine ähnliche Kunstwirkung zu erreichen wie mit
der Einschränkung des Interieurs im Bilde von 1529.

Was aber die Composition der Figuren allein untereinander betrifft, so ist die Symmetrie aller-
dings noch immer als Grundschema festgehalten aber in die Reihen manche Lockerung und Verschie-
bung gerathen, die wiederum als äussere körperliche Bewegung wirkt. Das Vor- und Rückwärts der
vordersten Reihe hat sich zwar eher etwas besänftigt und der Keim eines Raumcentrums dadurch
wieder verwischt, aber die Scheitellinie der mittleren Reihe verläuft nicht mehr in einer Horizontalen
sondern steigt nach rechts und links beträchtlich an und selbst in der obersten Reihe begegnen Köpfe
mit excentrischer Wendung und unregelmässige Brechungen der Scheitellinie. Die Tendenz auf
Bewegung nach der Höhe und Tiefe, die wir am Stücke von 1529 blos in der unteren Reihe wahr-
nehmen konnten, hat sich nun auch auf die oberen Reihen verpflanzt. Das streng architektonische
System des Aufbaues nach italienischem Barockmuster konnte also im Norden zwar erzieherische Wir-
kung ausüben aber offenbar nicht um seiner selbst willen verständnisvolle Werthschätzung und Nach-
folger finden; das Gleiche gilt ja von allen italienischen Elementen im niederländischen Manierismus.

Es verdienen schliesslich noch einige Einzelheiten dieses Bildes hervorgehoben zu werden. Durch
die gleichmässige, einförmig wirkende Haltung der Köpfe kann man sich leicht dazu verleiten lassen,
dem Meister den Sinn für Detailbeobachtung abzusprechen. Von diesem Urtheil wird man aber sofort
zurückkommen, wenn man die paar sichtbaren Hände auf dem Bilde genauer ins Auge fasst. Sie sind
zwar diesmal, ähnlich wie die Blicke und aus den gleichen Gründen, nicht so sprechend wie im früheren
Bilde; aber wenn man wahrnimmt, mit welcher Energie die Faust des Schützen in der rechten Ecke
unten den Gewehrlauf umfasst, der vermuthliche Capitän seinen Ladstock umklammert oder mit welch
lässiger Sicherheit der Schütze links vor dem Capitän seinem Nachbarn die in ungewöhnlicher Projec-
tion gezeichnete Hand auflegt, so wird man der Kraft und Ausdrucksfähigkeit, über die der Meister zu
gebieten wusste, die Anerkennung nicht versagen können. Man muss sich ferner darüber Rechenschaft
ablegen, wie es ihm gelungen ist, das uniforme Costüm bei fünfzehn Schützen derart zu variieren, dass
es doch überall anders erscheint, bei jedem das Barett verschieden sitzt, der Kragen andere Falten um
die Schulter schlägt u. s. w. Ein solches Streben nach Abwechslung ist natürlich ein subjectivistisches,
was schon daraus hervorgeht, dass unser moderner Geschmack es verlangt: es handelt sich eben dabei
um zufällige, flüchtige, von einem Subject in einem Zeitmomente erhaschte Erscheinungen. Das Be-
wunderungswürdige ist dabei nur wiederum die Kunst, mit der es Dirk Jacobsz verstanden hat, dieses
Subjective im Ganzen unauffällig erscheinen, gegen die objectivistische Uniformität zurücktreten zu lassen,
wozu ihm allerdings eben das Uniforme in Schnitt und Färbung zu statten kam. Nur an einer Figur
ist er über das Maass hinausgegangen, weshalb dieselbe auch unverhältnismässig stark herausschlägt: es
ist der Schütze mit dem silbernen Abzeichen auf dem Mantel im vordersten Grunde rechts von der
Mitte. Die Art und Weise, wie sein Mantelkragen entzweigeschlagen und der verkürzte rechte Aermel
drapiert ist, wirkt entschieden im Sinne des Malerischen nach italienischer Auffassung: der zufälligen
Verschiebung begrenzter Theile eines Körpers aus ihrer klaren Normallage. Dirk Jacobsz bewegt sich
mit dieser Figur gewissermassen in der Richtung des Cornelis Teunissen.
 
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