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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0130
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I24

Alois Riegl.

Weise auch das Gemütbsmoment nicht ganz ohne Ausdruck geblieben ist. Die zwei Köpfe in der Ecke
rechts unten blicken am gespanntesten und mit einer momentansten Wendung nach dem Beschauer, so
dass es fast den Anschein gewinnt, als hätte der Meister die Aufmerksamkeit zunächst auf diesen Punkt
im Bilde hinlenken wollen, — ähnlich wie Correggio in der »Nacht« zuerst seinen Hirten gesehen haben
wollte und erst über diesen hinweg das übrige Bild. Es sind dies subjectivistische Versuche, die im
Zuge der Zeit lagen und dem Beschauer mit Gewalt einen bestimmten Standpunkt vor dem Bilde auf-
zwingen wollten. In der Composition der Figuren fällt es, wie schon erwähnt, vor Allem auf, dass das
Grundschema zwar drei nüchterne, primitive Horizontalreihen übereinander aufweist, die aber auf der
rechten Seite, wo auch die Blickrichtungen lebhafter abwechseln, in Unordnung gerathen und durch
ein nach der Tiefe einspringendes Tischchen unterbrochen sind. Wir empfinden dieses Nebeneinander
als einen extremen Widerspruch, und da es wohl nicht anders als mit bewusster Absicht in die Dar-
stellung gebracht wurde, so muss es vom damaligen Kunstwollen begehrt worden sein. Die Köpfe
zeigen ein Streben nach plastischer Abrundung nach vorne vermittelst stärkerer Licht- und Schatten-
wechsel in den Fleischtheilen. Die hinteren Reihen sind zwar in ihrer Erscheinung nicht merklich
gegen die vorderen zurückgedrängt; aber die Absicht des Malers, die vordersten Figuren recht packend
gegen den Beschauer herausspringen zu lassen, ist doch unverkennbar: man sehe blos die Hände des
vordersten Schützen mit der Armbrust, namentlich die zum Fingerzeig gegen den Beschauer aus-
gestreckte Linke, wodurch man an Scorels spätere Gruppenporträte erinnert wird. Der Hintergrund
hingegen ist durch eine Landschaft bestritten und mit der Vorstellung, als ob die Gruppe in einem
Binnenraume versammelt wäre, dadurch ausgeglichen, dass die Schützen in einer Art Pfeilerhalle zu
stehen scheinen, die nach rückwärts durch eine bis zu den Schultern der hintersten Schützen empor-
ragende Brüstungsmauer abgeschlossen ist, so dass deren Köpfe bereits in die Landschaft hineinragen.
Auf der Brüstung erheben sich zwei Pfeiler, wovon der in der Mitte befindliche den Rottenbuch-
staben E und die Jahreszahl trägt; durch die weiten Zwischenräume zwischen den Pfeilern blickt man
in die Landschaft hinaus. Diese verräth Neuerungen sowohl in Bezug auf Motive als auch auf Raumbil-
dung. In den Motiven hält der Romanismus seinen Einzug: links der Obertheil einer nackten weiblichen
Statue, dann rechts von einem breiten Pfeiler mit unverkennbarer Absicht auf deutliche Abstufung in
der Raumferne römische Architekturen, darunter ein Detail von der Ruine der Konstantinbasilika und
die Profilansicht eines Porticus (des Pantheon?), ein Obelisk und die Pyramide des Cestius. Daran
schliesst sich rechts von dem mit Datum bezeichneten Pfeiler eine Stadt mit Rundtempel und Bogen-
substruetionen (Tivoli?) am Fusse phantastisch aufgebauter Felsberge; es ist dies der fernste Punkt
der Landschaft. Vom rechten Rande des Bildes her gewahren wir zuerst die Hälfte einer Rundbogen-
stellung, die vom Janus quadrifrons entlehnt sein könnte, sodann dunkle Baummassen und endlich
einen diagonal sich davon loslösenden einzelnen Baum, ebenfalls als Silhouette, hinter der unmittelbar
jene Felsenstadt in weite Ferne zurückspringt. Die Felszacken und Mauerzinnen, die der Niederländer
seit dem XV. Jahrhundert nicht missen mochte, mit ihrer Versinnlichung der unendlichen Raumtiefe
und des unstillbaren Hochdranges sind zwar noch nicht verlassen; aber es ist dafür gesorgt, dass sie
nun in eine subjectiv abzuschätzende Verbindung mit den Figuren des Vordergrundes treten. Ver-
gleicht man damit die Landschaft von 1531, ja selbst jene von 1533, so wird die fundamentale Neuerung
sofort klar: lagen dort die höchsten Punkte der Landschaft in der weitesten Ferne, so sind sie nun
vielmehr in die nächste Nähe gerückt, so dass die nächsten Bäume und Gebäude rechts und links am
Rande gestutzte Scheitel zeigen, entsprechend dem subjectiven Sehen, dem die nächsten Dinge gross,
die ferneren klein erscheinen.

Der landschaftliche Hintergrund dieses Schützenstückes beweist allein schon, dass die holländische
Malerei seit 1531, da man noch nach dem Vorbilde des Patinier den Vordergrund zunächst nach hinten
absinken und dann den Hintergrund ohne Verbindung mit vorne hoch aufsteigen liess, einen ent-
schiedenen Fortschritt gegen den Subjectivismus hin gemacht hat. Derselbe wurde aber wesentlich
erzielt durch ein Eingehen auf die Linienperspective der Italiener, d. i. durch eine Subjectivierung der
Erscheinung der einzelnen Dinge in der Landschaft, nicht des Luftraumes dazwischen oder aller sieht-
 
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