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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0132
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126

Alois Riegl.

Das
Schi'itzenstück
eines unbekann-
ten Meisters
von 1557.

Im Rathhause zu Amsterdam befindet sich noch ein Schützenstück mit der Jahreszahl 1555, das
bereits von van Dijk dem Cornelis Teunissen zugeschrieben wurde, jedoch mit dem Vorbehalt, dass
die Landschaft von Jan Scorel sein könnte. Dr. J. Six sagt darüber a. a. O.: »es scheint wirklich von
Cornelis Teunissen zu sein«. Die erwähnten Ermittlungen von E. W. Moes lassen natürlich auch
diese Zuweisung von vorneherein zweifelhaft erscheinen. Ein eigenes Urtheil steht mir nicht zu Ge-
bote, da mir das Bild im Rathhause nicht gezeigt wurde, wahrscheinlich, weil es »sehr beschädigt« ist,
wie Dr. Six bezeugt. Da nach Schaeps Zeugnis auf einem Zettel die Aufschrift steht: »Ex animo
omnia«, die Schaep selbst als ein »pro symbolo« bezeichnet, so ist damit wenigstens die symbolische
Auffassung des Bildes von 1555 erwiesen.

Nicht allein die Neuerungen, die wir an dem Schützenstücke von 1554 vorgefunden haben, liefern
den Beweis, dass man in den Fünfzigerjahren des XVI. Jahrhunderts das Problem des Gruppenporträts
wenigstens in Amsterdam mit erneuertem Eifer aufgegriffen hat: schon die namhafte Zahl derer, von
denen wir wissen, muss uns dies bestätigen, denn mit Ausnahme von 1552 ist uns zu jedem Jahre zwi-
schen 1551 bis 1559 mindestens ein Schützenstück erhalten oder doch schriftlich bezeugt. Es muss
daher überraschen, wenn uns da ein mit der Jahreszahl 1557 versehenes Stück (Rijksmuseum Nr. 1419,
Fig. 20) begegnet, das in Auffassung und Composition offenbar und zweifellos auf das älteste be-
kanntgewordene Gruppenporträt — dasjenige des Dirk Jacobsz von 1529 — zurückgreift. Umso wich-
tiger ist es, sich klar zu machen, worin dieses Stück über sein Vorbild hinausgeht. Es sind darauf
siebzehn Schützen der Rotte F der Kloveniersgilde dargestellt.

Was zunächst die Auffassung betrifft, so verräth sie ein sichtliches Bestreben nach einer lauteren,
packenderen Wirkung der Symbole und nach einer lebhafteren Abwechslung derselben. Das intime
Handauflegen fehlt gänzlich; dagegen ist nur von einem Schützen gar keine Hand, von einem guten
Drittel derselben beide Hände sichtbar, so dass fast jeder irgend einen Gegenstand zur Schau trägt.
Darunter befinden sich einerseits Dinge, die schon bei Dirk Jacobsz begegneten, wie die Waffe der
Gilde, die Feder des Schriftwartes; dazu ein mit Bier gefüllter Deckelkrug und ein zweites pokalartiges
Trinkgefäss als Andeutungen des Liebesmahles, das Cornelis Teunissen zuerst in die Symbolik der
Schützenstücke eingeführt hatte; endlich Symbole, deren Bedeutung im Einzelnen zu bestimmen ich
Fachkundigen des altniederländischen Schützenwesens überlassen muss: so der Todtenschädel, die
Prunkschale mit birnförmigen Buckeln, der Brief mit der Adresse: Domino Cornelio van Dellef in
Amsterdam, der Spruch, dessen Buchstaben in den Lauf der grossen Pistole eingelegt sind und wovon
Dr. Six nur mehr den Schluss Gods woert lesen konnte u. s. w.1 Dieses offensichtliche Bestreben
nach Lebhaftigkeit und Abwechslung der symbolischen Actionen hat zur zwingenden Folge, dass nun
die einzelne Figur noch mehr Sonderbedeutung gewinnt, als sie schon früher besessen hatte, und zwar
bis zu solchem Grade, dass dadurch der einheitliche Charakter des Ganzen beeinträchtigt erscheinen
könnte. Um dieser Gefahr wirksam vorzubeugen, ist nun hier zum ersten Male eine wirkliche Sub-
ordination in die Auffassung gebracht. Der mittlere Schütze in der unteren Reihe, der — wovon noch
die Rede sein wird — die Composition vollkommen beherrscht aber nicht wie die centralen Figuren
auf den Bildern von 1529 und 1531 nach hinten gerückt und von seinen Nachbarn gleichsam in Schatten
gestellt ist sondern in voller Halbfigur nach vorne heraustritt und durch Costüm, Färbung, Action,
Haltung, Gesichtsausdruck, ja sogar durch den breiteren und am Rande tiefer ausgezackten Kragen vor
allen Uebrigen ausgezeichnet ist, kann nur der Capitän sein. Ein Commandant, der alle Anderen über-
ragtest nun allerdings ein wirksameres Mittel zur Vereinheitlichung als sämmtliche symbolischen Gegen-
stände in den Händen der Einzelnen; aber dieses Mittel basiert auf Handlung und widerspricht damit
nicht allein dem demokratischen Begriffe der Schützengemeinschaft sondern auch dem künstlerischen
des Gruppenporträts und der älteren holländischen Kunstauffassung überhaupt. Dieses verstärkte Ein-
dringen der Subordination in das holländische Gruppenporträt ist somit als ein neuerliches Symptom

1 Einem Schützen (links in der Ecke) sind Handschuhe in die Hand gegeben: damit war nicht blos die Sichtbar-
machung der Hand motiviert sondern auch eine gewisse Vornehmheit zur Schau gebracht, auf die man jetzt allmälig Werth
zu legen begann. Die Fingerzeige gelten hier anscheinend den Symbolen, nicht mehr den Figuren.
 
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