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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0136
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Alois Riegl.

Gesicht gekommen ist, genügen zur Vergewisserung, dass es mit den Bildern der Sechzigerjahre, deren
Eigentümlichkeit gerade im Aufgeben der Reihung und im Einbeziehen der Landschaft besteht, nicht
zusammenhängt. Von symbolistischen Einzelheiten wird ein Schützenkönig mit Scepter und Ketten,
also wohl ähnlich jenen zwei Figuren auf dem Bilde von 1534, ferner ein Blatt mit Musiknoten und
der Aufschrift: die Man, die Wi j f erwähnt. Ein Versuch, das Gesammtwerk des Dirk .lacobsz, in dem
wir wohl einen der bahnbrechenden Meister der holländischen Malerei im XVI. Jahrhundert anzu-
erkennen haben, zu reconstruieren, würde unbedingt eine Untersuchung des genannten Bildes von
1556 einschliessen müssen; für unsere Aufgabe darf von einer solchen abgesehen werden, da sich schon
aus den citierten Angaben des Dr. Six zur Genüge erkennen lässt, dass hier die bahnbrechenden
Neuerungen der Sechzigerjahre noch nicht zu beobachten sind.

Derselbe holländische Forscher möchte sodann dem Dirk Jacobsz das Bild Nr. 547 des Rijks-
museums mit acht Klovenieren zuschreiben. Die Zahl der Mitglieder ist so gering wie in den späteren
Regentenstücken und obendrein sind offenbar die zwei obersten Köpfe mit ihren stärkeren Halb-
schatten und ihren Glanzlichtern auf Augen, Stirn und Nase etwas später zugemalt, so dass die ur-
sprüngliche Zahl der Schützen blos sechs betrug; vielleicht haben wir es da blos mit einem Flügelbilde
zu thun, desgleichen wir sofort (Fig. 21 und 22) kennen lernen werden. Aber in Auffassung und Com-
position schliesst sich doch auch dieses Bild enge den schon genannten an und steht sogar theilweise
den frühesten Beispielen der Dreissigerjahre so nahe, dass dieses Stück vielleicht als einziges unter allen
erhaltenen uns einen Uebergangscharakter zwischen beiden Hälften der ersten Periode zu repräsentieren
vermöchte. Die Köpfe sind zwar schon grösstentheils vollbärtig; alle blicken zum Beschauer heraus;
unter den Symbolen kehrt das Weinglas mehrfach wieder. Auffallend ist ein goldiger Ton im Fleisch
und selbst an den schwarzen Gewändern; in dieser koloristischen Hinsicht ragt es vor allen übrigen
der gleichen Zeit heraus und tritt mit diesem echtholländischen Streben nach Ausgleichung und Ver-
bindung von Figuren und Luft dazwischen namentlich zu der bunten Färbung der Stücke von 1557
und 1559 in scharfen Gegensatz. Die dreireihige Composition ist auf der versetzten Reihung aufgebaut;
die zwei mittleren Kopfe sind excentrisch, die je zwei linken und rechten concentrisch gewendet. Dass
die Köpfe trotz der geringen Zahl nicht in einer Ebene nebeneinander sondern in drei Reihen hinter-
einander aufgestellt wurden, lässt deutlich eine bewusste Absicht auf Verräumlichung mittelst Deckung
und Abstufung nach dem Tiefraume erkennen, obgleich die Landschaft des Hintergrundes erst nach-
träglich mit den zwei obersten Köpfen zugemalt scheint. Alle diese Eigenschaften des Bildes würden
wohl Dirk Jacobsz als den Meister desselben in Betracht kommen lassen; aber aus der Zeit, in der es
entstanden sein müsste, — etwa den ersten Fünfzigerjahren — besitzen wir kein anderes gesichertes
Stück, das durch Vergleich ein sicheres Urtheil ermöglichte; und auch das schon genannte von 1556
ist seinem Erhaltungszustande nach kaum zu dem Zwecke zu verwenden.

Verhältnismässig das gesichertste Beispiel dafür, wie Dirk Jacobsz in den Fünfzigerjahren Gruppen-
porträte behandelt haben mochte, bieten die beiden Flügel zu seinem ältesten Schützenstück von 1529
(Fig. 21, 22; siehe Seite 99 unten). Das gesteigerte Relief der nun schon zum Theil bärtigen Köpfe lässt
ebensowenig wie die gehäuften Symbole, worunter Trinkgefässe und Esswaren, die zweite Hälfte der
ersten Periode verkennen; und die Behandlung der Köpfe selbst, die noch immer ausnahmslos nach
der Seite des Beschauers blicken, ist genau die gleiche wie an den signierten Bildern des Dirk Jacobsz
aus den Sechzigerjahren, die wir sofort kennen lernen werden. In der Auffassung ist das Vordringen
des Subjectiv-Momentanen auch bei diesem Meister deutlich zu bemerken: man sehe nur den Schrift-
wart rechts, den Mann mit dem entfalteten Zettel links. Der Aufbau der Köpfe im Zickzack kommt
von der versetzten Reihung her und beweist einen zunehmenden Sinn für die Diagonale. Auffallend
ist auch das Schielen der Augen an einigen Köpfen, wofür sich bei Dirk Jacobsz noch weitere Parallelen
finden lassen werden.

Ein ganz deutliches Bild von Dirk Jacobsz' Kunstwollen in den Fünfzigerjahren vermögen uns
diese Flügel gleichwohl schon deshalb nicht zu vermitteln, weil es eben blos Flügel sind, bei denen
eine in sich geschlossene Composition wie in einem Mittelstücke von vorneherein ausgeschlossen war.
 
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