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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0150
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I 44 Alois Riegl.

nächst gar nicht fragen. Gerade solche Bilder lehren begreifen, wie nur die Holländer als die Maler
der Aufmerksamkeit im Stande gewesen sein konnten, ein Gruppenporträt zu schaffen.

Ebensowenig ist in der Composition die objectivistische Absicht zu verkennen, die der subjecti-
vistischen die Wage halten soll. Die Figuren sind zwar einerseits durch ein nichtfigürliches ausge-
dehntes Raumcentrum, über dem der freie Luftraum schwebt, vereinigt, anderseits aber auch durch
klare Symmetrie in eine Ebencomposition gebracht. An der dem Beschauer gegenüberliegenden Lang-
seite des Tisches sitzen drei Personen, deren mittlere mit dem heller erleuchteten und bedeutender
charakterisierten Kopf das Centrum der ganzen Composition in der Ebene bildet und mit ihrer Stel-
lung im Bilde und Charakterauffassung sogar eine bestimmte Subordination ausübt, so dass wir darin
trotz Mangels an Attributen wohl den Capitän vermuthen dürfen; nur um dieser objectivistischen
Centralisierung die schneidendste Schärfe zu benehmen, wurde dieser Mittelfigur eine überragende
Nebenfigur dahinter zur Seite gestellt. An den Schmalseiten sitzen beiderseits je vier Figuren in sym-
metrisch correspondierenden perspectivischen Diagonalen und hinter jeder dieser zwei Schrägreihen
stehen je zwei weitere Figuren in der Diagonale; an der dem Beschauer zugewendeten Langseite end-
lich jene drei Figuren, die dem Beschauer den Rücken kehren und dank den Zwischenräumen, die sie
dabei offen lassen, den Blick auf die Tischplatte mit dem Tischtuch, das aber nur über einen Theil
derselben gebreitet ist, und mit den Speisen, Getränken und Geschirren freigeben. Die perspectivische
Verkürzung, die an sich in eminentem Sinne subjectivistisch wirkt, ist jedoch hier nicht allein mit einer
strengen Symmetrie verbunden sondern auch durch Uebertreibung ins Objectivistische gekehrt. Denn
die Uebertreibung wirkt auf den Beschauer ähnlich wie das Apostrophieren desselben mit Geberden: sie
macht ihn mit offenbarer Absicht darauf aufmerksam, dass es ausser dem Object auch ein Subject gibt.
Indem also der Meister die Perspective übertrieb, bewies er, dass auch er in dieser Hinsicht noch vom
Standpunkte des barocken Dualismus den Ausgang genommen hat. Ferner sitzen diese je vier Figuren
auf beiden Seiten so gedrängt beieinander, dass sie in Wirklichkeit gar nicht Platz hätten, was wiede-
rum zu Gunsten des ebenen Symmetrieeindruckes, das heisst also des Objectivismus, geschehen ist.

Die Versinnlichung des Tiefraumes durch die eben besprochene perspectivische Verkürzung wird
noch durch einige andere Momente unterstützt, vor allem durch die drei Figuren im Vordergrunde,
die den Rücken und zugleich das Antlitz dem Beschauer zukehren; namentlich die mittlere Figur, die
mit ihrem dunklen Costüm gegen das weisse Tischtuch eine dunkle Silhouette bildet, trägt damit wirk-
sam zur Zurückschiebung des Tisches und der hinteren Figurenreihe bei. Damit war die Function des
Tischtuches erschöpft und eine Erstreckung desselben über den ganzen Tisch bis an dessen linkes
Ende schien dem Meister nicht angemessen; vermuthlich wollte er allzuvieles Weiss vermeiden. Die
fast durchwegs bärtigen Köpfe sind zwar sehr abgerieben, verrathen jedoch noch soviel, dass darin ein
starker Wechsel von Licht und Schatten angebracht war; vergleicht man aber diese Schattengebung
mit derjenigen der Köpfe von 1557, so wird man sofort erkennen, wie die frühere Absicht auf tastbare
Modellierung hier derjenigen auf coloristische Flächenbelebung Platz gemacht hat. Die Kopfbedeckung
bilden in der Regel noch die herkömmlichen Barette aber ein Hut ist doch schon darunter; ferner sind
zwei Barhäuptige nicht zu übersehen. Endlich ist in diesem Bilde zum Unterschiede von dem vorigen
der Hintergrund etwas deutlicher charakterisiert, indem aus der uniformen Fläche zwei Pilaster heraus-
springen und dieselbe als tastbare Wand charakterisieren. Freilich wie weit der Abstand zwischen
dieser Wand und den Schützen" subjectiv zu denken ist, wird uns nicht suggeriert; denn die Darstellung
des dort circulierenden Luftraumes hat Dirk Barentsz noch nicht für eine Aufgabe der Malerei gehalten:
dazu war er noch zu sehr Objectivist.

Endlich muss noch auf die geneigte Haltung des Kopfes des vermuthlichen Capitäns hingewiesen
werden. Sie ist nach zweierlei Richtungen hin bemerkenswerth: in der Composition verräth sie ein
Verlassen der strengen Verticalaxe und Neigung, zur Diagonale überzugehen, in der Auffassung ein
Einströmen des Gefühlsmoments in die bisherige reine, absolute Aufmerksamkeit. Bei Dirk Jacobsz
haben wir schon Aehnliches bemerkt und in etwas anderer Weise sogar schon beim Meister des
Schützenstückes von 1554. Das damit angestrebte Ziel bestand, wie schon dort gesagt wurde, in einer
 
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