Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0153
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das holländische Gruppenporträt.

147

Aertsen, genannt der lange Pier, den eigentlichen Grund zur specirisch holländischen Genremalerei
gelegt. Um den Unterschied zwischen beiden genannten Meistern zu erkennen, braucht man nur zwei
ihrer Bilder verwandten Gegenstandes miteinander zu vergleichen. In Breughels Bauernhochzeit und
Bauerntanz im Hofmuseum sind die Figuren entweder in unmittelbaren Verkehr miteinander gesetzt
oder, wenn sie verschiedenen Gruppen angehören, doch derart behandelt, dass wir an ihr momentanes,
Nebeneinander bedingungslos glauben. Man vergleiche nun damit etwa Aertsens Eiertanz im Rijks-
museum, wo die Episoden, in welche die Gesammtscene zerfällt, fast völlig verbindungslos neben-
einander auftreten. Während bei Breughel die innere Einheit (der Handlung) in der gleichen Weise
wie seit jeher bei den Italienern das Haupt-
postulat gebildet hatte, überlässt es Aertsen
grösstentheils dem betrachtenden Subject, die
Figuren zu einer (äusseren) Einheit zu ver-
knüpfen. Wir begegnen somit in dem hol-
ländischen Genre des Pieter Aertsen der glei-
chen Neigung, die einzelnen Figuren im
Bilde geistig gegeneinander zu isolieren und
dafür mit dem Beschauer zu verbinden, die
wir schon in Geertgens von Haarlem Täufer-
legende angetroffen und als älteste Grundlage
der holländischen Gruppenporträtmalerei er-
kannt haben.

Es würde den Rahmen dieser Abhand-
lung weit überschreiten, wenn wir es unter-
nehmen würden, Schritt für Schritt nachzu-
weisen, wie dieselben Grundsätze, welche
jeweils die holländische Gruppenporträtmale-
rei beherrscht haben, zugleich für alle übri-
gen Gebiete der holländischen Malerei die
maassgebenden gewesen sind. Angesichts der
fundamentalen Bedeutung aber, die der neu
aufgekommenen Genremalerei innerhalb der
holländischen Kunst zukommt, mag es sich
rechtfertigen, dass ausnahmsweise und blos

mit wenigen Worten die Identität der Genreauffassung Pieter Aertsens mit derjenigen der Gruppen-
Porträtmaler nachgewiesen werden soll.1

In der »Marktscene« der kaiserlichen Gallerie in Wien (Nr. 705, Taf. VIII) sehen wir im Vorder-
grunde einen Geflügelhändler sitzen, der aufmerksam nach Kunden ausblickt, sich aber dabei nach keiner
der drei im Bilde sichtbaren Seiten sondern nach dem Beschauer heraus wendet. Ein Paar Hühner hat
er offenbar soeben an eine Magd verkauft, die links hinter ihm steht und ihren Kauf, mit dem sie zufrie-
den scheint, mit der Linken hoch emporhaltend dem Beschauer zeigt. Die beiden Figuren also, die
naturgemäss in Beziehung zu einander stehen und von Breughel auch thatsächlich und offensichtlich
ln eine solche gebracht worden wären, wurden von dem holländischen Maler absichtlich isoliert und
jede für sich mit dem Beschauer verbunden: an Stelle der inneren Einheit ist die äussere getreten, wie
wir sie als die charakteristische Auffassung in der Gruppenporträtmalerei festgestellt hatten. Im Hinter-
grunde sind noch zwei Figuren sichtbar, die zwar in etwas engere innere Beziehung zu einander ge-
setzt sind, von denen aber doch auch wenigstens eine (die Magd) nach der Seite des Beschauers heraus-

Fig. 28. Liebespaar, von Rubens.
München, Pinakothek.

Identität
der Auflassung
im holländi-
schen Genre
und

Gruppenporträt.

1 Nach van Mander (ed. Hymans l, 35 3) ist Pieter Aertsen ein Schüler des Gruppenporträtmalers Allart Ciaessen zu
Amsterdam gewesen.
 
Annotationen