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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0165
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Das holländische Gruppenporträt.

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Fig. 3o. Schützenstück, vermuthlich von Pieter Ysaaksz, vom Jahre 1596.
Amsterdam, Rijksmuseum.

muss, dass niemals ein betrachtendes Subject in Wirklichkeit eine solche Figurengruppe schauen könnte.
Das Ganze bedeutet somit einen entschiedenen Rückschlag in den Objectivismus; und doch war es eine
Vorbedingung des Fortschrittes. Denn wenn die holländische Kunst ihr eigentliches Ziel — die Dar-
stellung "des rein Psychischen und rein Freiräumlichen — einmal erreichen sollte, so musste sie vorerst
die Körperbewegungen, die das Erstere verrathen, und die Linien, die das Zweite nach Höhe und Breite
begrenzen und vereinheitlichen, genau beherrschen lernen; nur unter dieser Voraussetzung war Beides
mit Erfolg zu überwinden. — Der gleichen Aufgabe der Verbindung der Figuren in der Ebene hat der
Meister dieses Bildes auch die in den Waffen und der Fahne gegebenen linearen Elemente weit besser
und flüssiger anzupassen gewusst als sein Vorgänger von 1588.

Die Auffassung enthält ebenfalls den Grundgedanken des Cornelis Ketel — die Präsentation —
aber in weiterer Entwicklung. Hatte jener seinen präsentierenden Capitän zwar auch schon ausserhalb
des Compositionscentrums gesetzt aber doch noch einen maassgebenden Platz im Vordergrunde ein-
nehmen lassen, so ist jetzt der Capitän aus der vorderen Reihe verschwunden und dadurch noch mehr
in die uniforme Masse der Truppe zurückgedrängt, so dass er nur dadurch, dass er allein in Verkehr,
und zwar in lebhaften, mit dem Beschauer tritt, ferner durch seine breite Schärpe erkenntlich wird.
Während aber bei Ketel der Capitän seine Mitofficiere präsentiert hatte, wendet er sich jetzt unmittel-
bar an den Beschauer, den er damit namens der ganzen Truppe begrüsst. Die Vereinheitlichung in der
Auffassung ist dadurch eine noch engere geworden, wogegen die äussere Subordination unter die Haupt-
figur noch mehr unterdrückt erscheint als bei Ketel. Der Capitän repräsentiert die Truppe, aber als
Primus inter pares. Der holländische Corporationsgeist, der nun einmal auf Coordination begründet
war, glaubte die gesteigerte Subordination in der Auffassung sofort dadurch compensieren zu sollen,
dass der geistig herrschenden Hauptfigur in der äusseren Composition ein verhältnismässig unter-
geordneter Platz angewiesen wurde.

Auch die Behandlung des Hintergrundes schliesst sich derjenigen Ketels an, indem sich der Blick
des Beschauers zwischen zwei aus der Tiefe herausspringenden Seitencoulissen durchzwängen muss, um
hinten auf eine schimmernde barocke Palastfacade mit vortretenden Pilastern (analog den vortretenden
fünf Figuren der Gruppencomposition) zu fallen. Nur ist die Tendenz auf Versinnlichung des freien
Raumes zwischen Figuren und Facade jetzt eine lebhaftere geworden; denn die Facade erscheint nun
nicht allein durch ihre Verhältnisse bedeutend zurückgerückt sondern auch durch die dunklen Vorder-
coulissen wirksam zurückgeschoben, wobei es klar wird, dass auch zwischen Coulissen und Facade noch
ein freier Zwischenraum zu denken ist. Völlig im Einklänge damit steht der hohe Freiraum, der nun
über den Scheiteln der Figuren liegt und der uns namentlich belehrt, welchen Fortschritt nach der grund-
sätzlichen Freiraummalerei des XVII. Jahrhunderts die holländischen Meister seit Scorels Grabespilgern
mit ihren gestutzten Scheiteln gemacht hatten. — Endlich beweist auch die durchgängige Barhäuptigkeit
der Schützen den engen Zusammenhang mit der durch Cornelis Ketel bezeichneten Stufe der Entwicklung.
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