Das holländische Gruppenporträt.
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Fig. 47. Die Anatomie des Dr. Tulp, von Rembrandt, i632.
Haag, Mauritshuis.
links am Ende, der bereits eine völlig gerade Haltung angenommen hat, sendet aus seinem Profilkopf
einen ruhigen Blick direct nach dem Sprecher. Es bleibt noch der siebente Arzt übrig, der nicht minder
in stramm aufrechter Haltung hoch über alle anderen emporragt und in der gedachten Hinsicht die
einzige Ausnahme bildet. Er wendet sich nämlich en face und mit vollem Blick zum Beschauer heraus
und weist dabei mit dem Zeigefinger der Rechten auf die Demonstrationsscene hin. Während somit
alle übrigen sieben Figuren untereinander zu innerer Einheit verbunden erscheinen, indem sich sechs
Chirurgen dem sprechenden Professor in Aufmerksamkeit subordinieren, stellt der Achte die äussere
Einheit mit dem Beschauer her, dem er die Verbindung mit der Vortragsscene vermittelt, indem er
ihn sich durch den Fingerzeig subordiniert. Es ist also eine doppelte Einheit durch Subordination in
diesem Bilde: einmal zwischen Tulp und den sieben Chirurgen, die sich sämmtlich ihm als dem Vor-
tragenden subordinieren, zweitens zwischen dem krönenden Chirurgen und dem Beschauer, welch
letzterer dem ersteren und durch diesen mittelbar wieder dem Dr. Tulp subordiniert wird.
Diese Grundauffassung als solche ist nun zwar keine völlig neue; denn wir waren ihr schon in
der Anatomie des Dr. Sebastian Egbertsz Vrij des Thomas de Keyser vom Jahre 1619 begegnet. Auch
jener hatte sich als Demonstrator an einem Skelete drei Hörer in unmittelbarer Aufmerksamkeit sub-
ordiniert, während ein vierter den (oder die) Beschauer auf dieScene aufmerksam machte. Aber erstens
war dieser Letztere in der Verbindung mit dem Beschauer noch nicht alleinstehend sondern vom
Fünften begleitet, der wenigstens den Blick übereinstimmend mit jenem voll heraussandte, was gegen
die Beschränkung der Zahl der mit dem Beschauer zu äusserer Einheit verbundenen Personen auf Eine
bei Rembrandt immerhin einen bemerkenswerthen Unterschied bedeutet. Eine weitere Abweichung
liegt darin, dass Rembrandt den Professor sich direct an die Hörer wenden lässt, während de Keyser
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Fig. 47. Die Anatomie des Dr. Tulp, von Rembrandt, i632.
Haag, Mauritshuis.
links am Ende, der bereits eine völlig gerade Haltung angenommen hat, sendet aus seinem Profilkopf
einen ruhigen Blick direct nach dem Sprecher. Es bleibt noch der siebente Arzt übrig, der nicht minder
in stramm aufrechter Haltung hoch über alle anderen emporragt und in der gedachten Hinsicht die
einzige Ausnahme bildet. Er wendet sich nämlich en face und mit vollem Blick zum Beschauer heraus
und weist dabei mit dem Zeigefinger der Rechten auf die Demonstrationsscene hin. Während somit
alle übrigen sieben Figuren untereinander zu innerer Einheit verbunden erscheinen, indem sich sechs
Chirurgen dem sprechenden Professor in Aufmerksamkeit subordinieren, stellt der Achte die äussere
Einheit mit dem Beschauer her, dem er die Verbindung mit der Vortragsscene vermittelt, indem er
ihn sich durch den Fingerzeig subordiniert. Es ist also eine doppelte Einheit durch Subordination in
diesem Bilde: einmal zwischen Tulp und den sieben Chirurgen, die sich sämmtlich ihm als dem Vor-
tragenden subordinieren, zweitens zwischen dem krönenden Chirurgen und dem Beschauer, welch
letzterer dem ersteren und durch diesen mittelbar wieder dem Dr. Tulp subordiniert wird.
Diese Grundauffassung als solche ist nun zwar keine völlig neue; denn wir waren ihr schon in
der Anatomie des Dr. Sebastian Egbertsz Vrij des Thomas de Keyser vom Jahre 1619 begegnet. Auch
jener hatte sich als Demonstrator an einem Skelete drei Hörer in unmittelbarer Aufmerksamkeit sub-
ordiniert, während ein vierter den (oder die) Beschauer auf dieScene aufmerksam machte. Aber erstens
war dieser Letztere in der Verbindung mit dem Beschauer noch nicht alleinstehend sondern vom
Fünften begleitet, der wenigstens den Blick übereinstimmend mit jenem voll heraussandte, was gegen
die Beschränkung der Zahl der mit dem Beschauer zu äusserer Einheit verbundenen Personen auf Eine
bei Rembrandt immerhin einen bemerkenswerthen Unterschied bedeutet. Eine weitere Abweichung
liegt darin, dass Rembrandt den Professor sich direct an die Hörer wenden lässt, während de Keyser