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Alois Riegl.
Fig. 48. Entwurf in Handzeichnung zu Rembrandts Anatomie des Dr. Deyman.
Amsterdam, Sammlung Six.
rechts von ihm folgen die hellen Gestalten des Lieutenants und des märchenhaften Mädchens im
Sonnenstrahl und noch weiter zu jeder Seite ein in dunkles Roth gekleideter Schütze. Am wichtigsten
ist aber, dass Rembrandt hinter den vordersten, nach dem Beschauer herausschreitenden Figuren durch
die ganze Breite des Bildes eine senkrecht dazu, also in der Bildebene bewegte Schicht von Figuren
angeordnet hat: sie beginnt links in concentrischer Richtung mit dem auf der Brüstung sitzenden
Schützen, setzt sich in dem erwähnten Mädchen und dem schiessenden Schützen fort und findet rechts
ihr Ende in der wiederum concentrisch gewendeten Gruppe der zwei Schützen in Wechselverkehr, wo-
von Einer seine Rechte horizontal bis zu einem Viertel der Bildbreite hineinstreckt. Hinter diesen nach
rechts oder links (in der Ebene) bewegten Figuren wird wieder die Bewegung aus dem Tiefraume
heraus gegen den Beschauer aufgenommen. Es kann somit Niemandem entgehen, dass Rembrandt trotz
der durch die Frontbewegung über alles Bisherige hinaus gesteigerten Raumcomposition die Gesammt-
heit der Figuren in drei Ebenen hintereinander zerlegt hat, die dem Raumeindruck der Bewegung
ebenso die Waage halten sollten wie die Linien- und Farbensymmetrie dem Tiefeneindruck der Raum-
buchten zwischen den Figuren.
Die Anatomie Schützenstücke hat Rembrandt nach 1642 keine mehr gemalt, was aber nicht nothwendiger-
Jes Dr.Dcjman. maassen aus jgj. Unzufriedenheit der Besteller der »Nachtwache« erklärt zu werden hat; denn nach dem
westphälischen Frieden von 1648 ist diese Gattung, wie schon bemerkt wurde, in Amsterdam so gut
wie erloschen. Dagegen hat er Gruppenporträte noch wiederholt angefertigt, sodass wir aus jedem der
vier Decennien seines Schaffens je ein solches besitzen. Das Bild der Fünfzigerjahre -—■ die Anatomie
des Dr. Deyman — ist allerdings nur in einem kleinen, traurigen Fragment (Rijksmuseum Nr. 1250,
Fig. 49) und in einer summarischen Skizze in der Sammlung Six (Fig. 48, nach Lippmann, Rem-
brandts Handzeichnungen, Neue Serie Nr. 56) auf unsere Tage gekommen. Der durch einen Brand
verursachte Verlust ist zweifellos zu beklagen; ob aber von kunsthistorischem Standpunkte dieser Aus-
Alois Riegl.
Fig. 48. Entwurf in Handzeichnung zu Rembrandts Anatomie des Dr. Deyman.
Amsterdam, Sammlung Six.
rechts von ihm folgen die hellen Gestalten des Lieutenants und des märchenhaften Mädchens im
Sonnenstrahl und noch weiter zu jeder Seite ein in dunkles Roth gekleideter Schütze. Am wichtigsten
ist aber, dass Rembrandt hinter den vordersten, nach dem Beschauer herausschreitenden Figuren durch
die ganze Breite des Bildes eine senkrecht dazu, also in der Bildebene bewegte Schicht von Figuren
angeordnet hat: sie beginnt links in concentrischer Richtung mit dem auf der Brüstung sitzenden
Schützen, setzt sich in dem erwähnten Mädchen und dem schiessenden Schützen fort und findet rechts
ihr Ende in der wiederum concentrisch gewendeten Gruppe der zwei Schützen in Wechselverkehr, wo-
von Einer seine Rechte horizontal bis zu einem Viertel der Bildbreite hineinstreckt. Hinter diesen nach
rechts oder links (in der Ebene) bewegten Figuren wird wieder die Bewegung aus dem Tiefraume
heraus gegen den Beschauer aufgenommen. Es kann somit Niemandem entgehen, dass Rembrandt trotz
der durch die Frontbewegung über alles Bisherige hinaus gesteigerten Raumcomposition die Gesammt-
heit der Figuren in drei Ebenen hintereinander zerlegt hat, die dem Raumeindruck der Bewegung
ebenso die Waage halten sollten wie die Linien- und Farbensymmetrie dem Tiefeneindruck der Raum-
buchten zwischen den Figuren.
Die Anatomie Schützenstücke hat Rembrandt nach 1642 keine mehr gemalt, was aber nicht nothwendiger-
Jes Dr.Dcjman. maassen aus jgj. Unzufriedenheit der Besteller der »Nachtwache« erklärt zu werden hat; denn nach dem
westphälischen Frieden von 1648 ist diese Gattung, wie schon bemerkt wurde, in Amsterdam so gut
wie erloschen. Dagegen hat er Gruppenporträte noch wiederholt angefertigt, sodass wir aus jedem der
vier Decennien seines Schaffens je ein solches besitzen. Das Bild der Fünfzigerjahre -—■ die Anatomie
des Dr. Deyman — ist allerdings nur in einem kleinen, traurigen Fragment (Rijksmuseum Nr. 1250,
Fig. 49) und in einer summarischen Skizze in der Sammlung Six (Fig. 48, nach Lippmann, Rem-
brandts Handzeichnungen, Neue Serie Nr. 56) auf unsere Tage gekommen. Der durch einen Brand
verursachte Verlust ist zweifellos zu beklagen; ob aber von kunsthistorischem Standpunkte dieser Aus-