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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0225
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Das holländische Gruppenporträt.

2ig

Fig. 49. Bruchstück der Anatomie des Dr. Dcyman, von Rembrandt, 1656.
Amsterdam, Rijksmuseum.

fall ein schlechtweg uneinbringlicher ist, möchte man bezweifeln; denn Skizze und Fragment gestatten
hinlänglich, Auffassung und Composition wenigstens in ihren wesentlichen Grundzügen festzustellen.

Die Subordination scheint in beiden Beziehungen eine vollkommene gewesen zu sein. Der Pro-
fessor steht in der Mitte des Bildes hinter dem Leichnam, dessen Schädel er geöffnet hat und den
Inhalt nun demonstriert. Die Abstufungen der Aufmerksamkeit in den Mienen der Zuhörer lassen sich
freilich an der Hand der Skizze nicht hinlänglich verfolgen; aber der Kopf des Assistenten, der auf
dem P'ragment erhalten geblieben ist, beweist, dass wenigstens dieser dem Vortrage des Professors sub-
ordiniert dargestellt gewesen ist, und wir dürfen daher wohl das Gleiche auch von den Uebrigen ver-
muthen.1 Die innere Einheit mag ähnlich wie in der »Nachtwache« an sämmtlichen Figuren ohne
Ausnahme durchgeführt gewesen und der den Beschauer apostrophierende Schütze der Anatomie von
i632 als Repräsentant der äusseren Einheit in Wegfall gekommen sein. Die vertieften inneren psycho-
logischen Mittel, die an seine Stelle traten, sind freilich aus den vorliegenden zwei Zeugnissen nicht
mehr hinlänglich zu erkennen; höchstens ist zu sagen, dass der dem Cadaver zunächststehende Assistent
nach Aussage des Fragmentes die lebhafte Bewegung der centralen Figuren von i632 abgelegt und
dafür einen concentrierteren psychischen Ausdruck der Aufmerksamkeit angenommen hat. Umso
schlagender treten die äusseren Mittel zur Herstellung der äusseren Einheit entgegen. Der Leichnam
liegt in senkrechter Verkürzung zum Beschauer ausgestreckt und in Folge dessen ist auch der Professor
en face zum Bilde herausgewendet. Die strenge Symmetrie in der Composition, von der sofort die
Rede sein wird, empfindet der Nordländer gleichfalls als ein auf den Beschauer berechnetes Arrange-

1 Links unten auf der Skizze scheint allerdings ein Kopf gegen den Beschauer heraus gewendet zu sein; doch war
dies vielleicht nicht anders gemeint als die analoge Kopfwendung des zweiten Chirurgen von links unten in der Anatomie
des Dr. Tulp: der Mann geht trotz der Abwendung vom Sprecher vollständig auf in der Verbindung mit diesem, dem er so
eifrig zuhört, dass er sich darin nicht einmal durch seinen Anblick stören lassen will.
 
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