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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0230
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Alois Riegl.

In den Staalmeesters ist hingegen der Tisch unmerklich übereck gestellt und auf einer (hinzuzudenken-
den) Estrade so hoch postiert, dass die Tischplatte nach hinten zurücksinkt und daher nicht mehr zu sehen
ist. Durch diese Anordnung erscheinen nun alle fünf Personen, wiewohl zwei davon an je einer
Schmalseite sitzen, annähernd in eine und dieselbe Ebene gedrängt. Während die Figuren in der
Anatomie eine keilförmige cubische Raummasse bildeten, die sich übereck vorwärts schob und mit
Mühe durch eine steile Pyramide in der Ebene zurückgehalten wurde, während sie ferner in der »Nacht-
wache < sich zwar wieder gleichmässiger in der Ebene zu entfalten begannen aber in der Mitte und

an den beiden Ecken eubisch-
räumliche Massenglieder vor-
sandten, sind sie nun in den
Staalmeesters schliesslich wieder
in die anscheinend primitivste
Reihenebene gebracht. Dabei
schliessen sich die drei mittleren
von den fünf Regenten zu einer
Dreieckcomposition zusammen,
der jedoch der krönende Scheitel
und damit jede lautere Betonung
derSubordination fehlt; die zwei
äusseren Figuren bilden zu die-
ser concentrischen Bewegung
der Mittelfiguren beiderseits
ruhig abschliessende Vertical-
axen, worin sich uns abermals
ein von der Anatomie und der
»Nachtwache« her wohlbekann-
tes Princip Rembrandts (alle
äussere Bewegung schliesslich
an der Peripherie in beobach-
tende Ruhe überzuführen) ver-
räth; der ruhig lothrecht da-
stehende Diener fungiert in der
gleichen Weise in der Richtung
nach rückwärts. Die Composi-
tion der »Nachtwache« klingt
hingegen in den Staalmeesters
darin nach, dass eine mittlere
Ebene mit ihrer einseitigen Aus-
dehnung in die Breite zwischen zwei andere Raumschichten gesetzt erscheint, deren Theile in aller-
dings mässiger Weise aus der Tiefe nach dem Beschauer herausstreben; nur waren in der »Nachtwache«
alle drei Raumschichten durch Figuren gebildet, während hier blos die mittlere aus solchen besteht,
die vordere dagegen durch die Uebereckstellung des Tisches, die hintere durch die Vor- und Rück-
sprünge der getäfelten Wand bestritten erscheint.

Das scharfe Hervorkehren der eubischen Räumlichkeit in den früheren Bildern, das nun wieder
zu Gunsten einer Ebenerscheinung verlassen ist, spielt in der Entwicklung der Composition bei Rem-
brandt genau die gleiche Rolle wie die innere Einheit in der Entwicklung seiner Auffassung: beides
war ihm blos Mittel zum Zwecke. Was Rembrandt in der Composition gewollt hat, lässt sich am ein-
fachsten an der Einzelfigur klarmachen; die Composition mehrerer Figuren bezweckte ja im Grunde
auch nichts Anderes als die Composition der Theilglieder einer Figur zum Ganzen dieser Figur.

Fig. 50. Rembrandt, Die Enthauptung des Täufers. Radierung, datiert 1640 (B. 92).

Albertina.
 
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