242
Alois Riegl.
untereinander nicht in Verbindung hätten treten wollen sondern dass sie mit ihrer Verbindungsbereit-
willigkeit die anderen nicht behelligen wollten. Die altholländische Isolierung bedeutet Respect vor
der fremden Willenssphäre, die natürlich das Verlangen nach dem gleichen Respect vor der eigenen
Willenssphäre in sich einschliesst. Die Porträtfiguren, welche van Dyck, Tizian, Velasquez gemalt
haben, verrathen stets die Tendenz, den Beschauer und überhaupt jeden Anderen zu beherrschen.
Sogar van Dycks pathetische Köpfe ziehen sich offenbar nur deshalb auf sich selbst zurück, weil ihnen
augenblicklich die Macht versagt ist. Die Auffassung der Romanen und Halbromanen bleibt stets die
Fig. 59. Die Regentinnen des Leprosenhauses, von Ferdinand Bol, zwischen 1650 und 1655.
Amsterdam, Rijksmuseum.
aggressive Eroberungslust, mag dieselbe welche Formen immer annehmen. Den Köpfen des Flinck
fehlt dagegen alle wirkliche Grösse. Sie geberden sich zwar als Herrscher^ aber sie sind nicht fähig
und im Grunde gar nicht willens, Andere zu beherrschen, sondern wollen blos über sich selbst Herren
bleiben.1
Die Composition verräth im Verhältnis zwischen Tiefraum und Ebene ebenfalls Anklänge an die
»Nachtwache«: so in den Raumbuchten, der Verwendung der Lanzenschäfte, der Einschiebung von in
der Ebene bewegten Figuren (namentlich jenem durch das genremässige Motiv seiner Handlung auf-
fallenden Schützen) zwischen den senkrecht herausschreitenden. Bezeichnend ist jedoch das fühlbare Ab-
nehmen der Bedeutung des Hintergrundes, der den Figuren gegenüber wieder in die Rolle eines noth-
wendigen Füllsels zurücksinkt. Dafür gewinnt der freilich auch blos oberflächlich behandelte Wolken-
himmel Ausdehnung und Bedeutung, uns abermals an van Dyck, Velasquez und andere Halb- und
Ganzromanen des XVII. Jahrhunderts erinnernd.
1 Aus diesem unbezähmbaren Drang, nicht Ambos zu sein, aber zugleich der Unfähigkeit und Unlust, Hammer zu sein,
erklärt sich die Geschichte des holländischen Stammes bis auf seine letzten Geschicke in Südafrika herab, sowohl in ihren
glänzenden als auch in ihren tragischen Seiten.
Alois Riegl.
untereinander nicht in Verbindung hätten treten wollen sondern dass sie mit ihrer Verbindungsbereit-
willigkeit die anderen nicht behelligen wollten. Die altholländische Isolierung bedeutet Respect vor
der fremden Willenssphäre, die natürlich das Verlangen nach dem gleichen Respect vor der eigenen
Willenssphäre in sich einschliesst. Die Porträtfiguren, welche van Dyck, Tizian, Velasquez gemalt
haben, verrathen stets die Tendenz, den Beschauer und überhaupt jeden Anderen zu beherrschen.
Sogar van Dycks pathetische Köpfe ziehen sich offenbar nur deshalb auf sich selbst zurück, weil ihnen
augenblicklich die Macht versagt ist. Die Auffassung der Romanen und Halbromanen bleibt stets die
Fig. 59. Die Regentinnen des Leprosenhauses, von Ferdinand Bol, zwischen 1650 und 1655.
Amsterdam, Rijksmuseum.
aggressive Eroberungslust, mag dieselbe welche Formen immer annehmen. Den Köpfen des Flinck
fehlt dagegen alle wirkliche Grösse. Sie geberden sich zwar als Herrscher^ aber sie sind nicht fähig
und im Grunde gar nicht willens, Andere zu beherrschen, sondern wollen blos über sich selbst Herren
bleiben.1
Die Composition verräth im Verhältnis zwischen Tiefraum und Ebene ebenfalls Anklänge an die
»Nachtwache«: so in den Raumbuchten, der Verwendung der Lanzenschäfte, der Einschiebung von in
der Ebene bewegten Figuren (namentlich jenem durch das genremässige Motiv seiner Handlung auf-
fallenden Schützen) zwischen den senkrecht herausschreitenden. Bezeichnend ist jedoch das fühlbare Ab-
nehmen der Bedeutung des Hintergrundes, der den Figuren gegenüber wieder in die Rolle eines noth-
wendigen Füllsels zurücksinkt. Dafür gewinnt der freilich auch blos oberflächlich behandelte Wolken-
himmel Ausdehnung und Bedeutung, uns abermals an van Dyck, Velasquez und andere Halb- und
Ganzromanen des XVII. Jahrhunderts erinnernd.
1 Aus diesem unbezähmbaren Drang, nicht Ambos zu sein, aber zugleich der Unfähigkeit und Unlust, Hammer zu sein,
erklärt sich die Geschichte des holländischen Stammes bis auf seine letzten Geschicke in Südafrika herab, sowohl in ihren
glänzenden als auch in ihren tragischen Seiten.