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Alois Riegl.
Fig. 63. Die Officiere der Haarlemer Adrians-Schützen, von Frans Hals, 1627.
Haarlem, städtisches Museum.
den hingespritzten Lichtern und flüchtigen Schatten, was den Eindruck bis dahin unerhörter Beweg-
lichkeit im Freiraume hervorbringt. Diese Elemente einer Raumillusionswirkung sind es namentlich,
wodurch sich der moderne Beschauer dahin täuschen lässt, die ruhige objectiv-haptische Ebene, in
welche die Figuren componiert sind, trotz ihres Gedränges und trotz des hohen Augenpunktes für
eine subjectiv-optische Ebene zu halten. Die späteren Bilder des Frans Hals, die unserem modernen
Empfinden im Gr.unde näher stehen, wirken gleichwohl auf uns weniger befriedigend, weil ihnen jenes
Element der ruhigen Ebenwirkung fehlt, — ein Element, das freilich bei Hals noch nicht wie später
bei Rembrandt in der Erfahrung unseres subjectiven Schauens (optische Ebene) sondern nach antikem
und romanischem Vorbilde in dem Bedürfnisse des Objectes nach klarer Einheit innerhalb gesetz-
licher Umrisslinien (haptische Ebene) begründet ist.
Ebenso charakteristisch für die Haarlemer Porträtmalerei von Anbeginn wie das Postulat der
inneren Einheit neben der äusseren ist ihr reserviertes Verhalten gegenüber der Subordination. Es ist
niemals eine einzige Genrescene, welche die innere Einheit bewirkt, sondern eine Reihe von solchen:
so schon bei Cornelis Cornelisz, dann bei Grebber und nun auch bei Hals, der uns im Bilde von 1616
zwei solche vorgeführt hat. Der Capitän, wiewohl durch gravitätisches Ansehen, Action, hervorragende
Position kenntlich, übt trotzdem durchaus nicht die Rolle einer subordinierenden Dominante aus. Die
mit dem Beschauer (den supponierten Ankömmlingen) Verbundenen aber sind theils passiv (subordi-
niert), theils activ (dominierend), zu welch letzteren nicht allein der an der rechten Schmalseite Sitzende,
der die Unsichtbaren lebhaft mit der Linken apostrophiert,1 sondern auch die drei oder vier jovial und
einladend Herausschauenden zu zählen sind. Ein ähnliches zögerndes Verhältnis zur Subordination
1 Wobei sich seine Hand mit dem Arme seines Nachbars verschränkt: eine Haarlemer Eigenthümlichkeit, die sich
namentlich in Grebbers Bilde von 1610 häufig beobachten lässt (vgl. Seite 176 f.).
Alois Riegl.
Fig. 63. Die Officiere der Haarlemer Adrians-Schützen, von Frans Hals, 1627.
Haarlem, städtisches Museum.
den hingespritzten Lichtern und flüchtigen Schatten, was den Eindruck bis dahin unerhörter Beweg-
lichkeit im Freiraume hervorbringt. Diese Elemente einer Raumillusionswirkung sind es namentlich,
wodurch sich der moderne Beschauer dahin täuschen lässt, die ruhige objectiv-haptische Ebene, in
welche die Figuren componiert sind, trotz ihres Gedränges und trotz des hohen Augenpunktes für
eine subjectiv-optische Ebene zu halten. Die späteren Bilder des Frans Hals, die unserem modernen
Empfinden im Gr.unde näher stehen, wirken gleichwohl auf uns weniger befriedigend, weil ihnen jenes
Element der ruhigen Ebenwirkung fehlt, — ein Element, das freilich bei Hals noch nicht wie später
bei Rembrandt in der Erfahrung unseres subjectiven Schauens (optische Ebene) sondern nach antikem
und romanischem Vorbilde in dem Bedürfnisse des Objectes nach klarer Einheit innerhalb gesetz-
licher Umrisslinien (haptische Ebene) begründet ist.
Ebenso charakteristisch für die Haarlemer Porträtmalerei von Anbeginn wie das Postulat der
inneren Einheit neben der äusseren ist ihr reserviertes Verhalten gegenüber der Subordination. Es ist
niemals eine einzige Genrescene, welche die innere Einheit bewirkt, sondern eine Reihe von solchen:
so schon bei Cornelis Cornelisz, dann bei Grebber und nun auch bei Hals, der uns im Bilde von 1616
zwei solche vorgeführt hat. Der Capitän, wiewohl durch gravitätisches Ansehen, Action, hervorragende
Position kenntlich, übt trotzdem durchaus nicht die Rolle einer subordinierenden Dominante aus. Die
mit dem Beschauer (den supponierten Ankömmlingen) Verbundenen aber sind theils passiv (subordi-
niert), theils activ (dominierend), zu welch letzteren nicht allein der an der rechten Schmalseite Sitzende,
der die Unsichtbaren lebhaft mit der Linken apostrophiert,1 sondern auch die drei oder vier jovial und
einladend Herausschauenden zu zählen sind. Ein ähnliches zögerndes Verhältnis zur Subordination
1 Wobei sich seine Hand mit dem Arme seines Nachbars verschränkt: eine Haarlemer Eigenthümlichkeit, die sich
namentlich in Grebbers Bilde von 1610 häufig beobachten lässt (vgl. Seite 176 f.).