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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0272
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Alois Riegl.

Fig. 69. Die Regenten des Oudemannenhuis, von Frans Hals, 1664.
Haarlem, städtisches Museum.

Aehnlich wie in der Auffassung der Gesammtheit verräth sich auch in derjenigen der Einzelfiguren
einerseits eine Annäherung an die durch Rembrandt auf den Gipfelpunkt gebrachte Amsterdamer Rich-
tung, anderseits ein zögerndes Beharren bei den Alt-Haarlemer Neigungen und auch hier ist das Re-
sultat der Betrachtungen nothwendigermaassen ein nicht völlig befriedigendes: es ist kein Hals mehr,
was wir da sehen, aber auch noch kein Rembrandt. Der herausfordernde Uebermuth und die kecke
Lebenslust sind verschwunden; aber man merkt es diesen Leuten doch an, dass sie keine geborenen
Träumer sind, und man geräth daher in Versuchung, sie für abgetakelte Lebemänner zu halten. Als
Typus dafür darf der Sprecher des Regentenbildes mit den abgelebten Zügen gelten, der sich den Hut
in burschikoser Weise schief auf die wirren, ungekämmten Haare gestülpt hat. Am sympathischesten
berührt der alte Diener mit dem freundlichen, treuherzigen Ausdruck, dem noch etwas von der naiven
Lebensfreudigkeit der Hals'schen Jugendschöpfungen beigemischt ist. Interessant ist es auch zu be-
obachten, wie sich der Meister mit dem uniformen geschniegelten Costüm dieser Spätzeit abgefunden
hat. Dem Einheitszwang der Mode musste er sich beugen; aber der alte Hasser der Subordination ent-
schädigte sich hiefür in der Weise, dass er dem Einen das Wamms aufriss, dem Anderen die Spitzenärmel
zerknitterte, dem Dritten, wie schon bemerkt, den Hut schief aufsetzte u. s. w., was natürlich ebensoviele
Mittel waren, die Stimmungseinheit zu durchbrechen.

Aber auch in der Composition sehen wir Frans Hals in seinen letzten Bildern über die von ihm
früher erreichten Stufen in einer der allgemeinen holländischen Entwicklung durchaus entsprechenden
Weise fortgeschritten. Ursprünglich war er davon ausgegangen, die Figuren vom Freiraume umflossen
darzustellen, wobei ihn aber blos die Figuren, nicht der Freiraum als solcher interessierten. Das ge-
steigerte Begehren der Holländer, die abgeschlossenen körperlichen Dinge in ununterbrochener Verbin-
dung mit dem sie umgebenden Freiraume zu schauen, bewog auch den Haarlemer Hauptmeister zu einer
vermehrten Rücksichtnahme auf den Freiraum, weshalb wir ihn im Jahre 1641 sogar das Amsterdamer
Helldunkel adoptieren sahen. In den beiden Alterswerken zeigt er sich aber auch über dieses hinausge-
schritten, indem er sich der Rehabilitierung der Localfarben mittelst der Schwarz-Weiss-Roth-Malerei1

1 Das Roth in der bekannten pikant-spärlichen Weise: am Knie des Regenten ganz rechts und am Schnitt des Buches
auf dem Tisch der Regentinnen.
 
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