Das holländische Gruppenporträt.
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Fig. 73. Die Regenten des Leprosenhauses, von Jan de Bray, 1667.
Haarlcm, städtisches Museum.
Haarlemer Gruppenporträtmalerei, wobei freilich das Beste daran — die pikante Wirkung etwa der
Terborch'schen Novellen •— verloren ging, weil der dem Regentenstück ausschliesslich offenstehende
Verkehr mit einer Partei nach der gedachten Richtung nur geringen Spielraum offen Hess. Gerade
Bilder dieser Art, so vortrefflich sie gemalt sind, beweisen zur Evidenz, dass die allgemeine Entwick-
lung der Kunst nun in Bahnen vorgeschritten war, in denen für das Gruppenporträt im Grunde kein
Platz mehr gewesen ist. Die Holländer hatten die Wahl, der novellistisch-dramatischen Richtung
schlankweg zu folgen und dem hiefür ungeeigneten Gruppenporträt zu entsagen oder aber, wenn sie
diese nationale Kunstgattung nicht entbehren mochten, in der Entwicklung stillezuhalten und auf Jahr-
hunderte hinaus auf jede weitere schöpferische Mitwirkung an der Geschichte der Malerei zu verzichten.
Die Holländer haben bekanntlich das Letztere vorgezogen.
Aus der novellistischen Richtung, die zur physischen und psychischen Uniformierung der Einzel-
figur drängte, erklärt sich schliesslich auch das Widerstreben gegen jede innere Subordination im Bilde
— eine Tendenz, in der sich zugleich auch wieder der Haarlemer Künstler verräth. Bei Valckert brauchen
wir trotz der auch von ihm angestrebten Coordination Aller nicht lange zu suchen, wer die Frage an
die Partei stellt und sich dadurch als Vorsitzender geberdet. Dagegen haben wir im männlichen Re-
gentenstücke des Jan de Bray Mühe, denselben zu finden, bis wir ihn ganz rechts am Ende eruieren,
und vollends im weiblichen Regentenstück bleiben wir lediglich auf die Vermuthung angewiesen, die
uns am ehesten in der ganz links Sitzenden mit dem halbgeöffneten Munde die Sprecherin erkennen
lässt. Hienach könnte man den Unterschied zwischen den Auffassungen in den Regentenstücken des
W. van Valckert und Jan de Bray dahin definieren, dass, während der Amsterdamer in der durchge-
führten äusseren Einheit bereits das kommende Streben nach innerer dramatischer Einheit und rela-
tiver Subordination erkennen lässt, der Haarlemer hingegen den Rest jener subordinativen Einheit ab-
zustreifen strebt, die ihm die unmittelbar vorangehende Entwicklung aufgenöthigt hatte. Und so ver-
steht man endlich auch von diesem Schlusspunkte aus am vollkommensten die Ablehnung, welche die
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Fig. 73. Die Regenten des Leprosenhauses, von Jan de Bray, 1667.
Haarlcm, städtisches Museum.
Haarlemer Gruppenporträtmalerei, wobei freilich das Beste daran — die pikante Wirkung etwa der
Terborch'schen Novellen •— verloren ging, weil der dem Regentenstück ausschliesslich offenstehende
Verkehr mit einer Partei nach der gedachten Richtung nur geringen Spielraum offen Hess. Gerade
Bilder dieser Art, so vortrefflich sie gemalt sind, beweisen zur Evidenz, dass die allgemeine Entwick-
lung der Kunst nun in Bahnen vorgeschritten war, in denen für das Gruppenporträt im Grunde kein
Platz mehr gewesen ist. Die Holländer hatten die Wahl, der novellistisch-dramatischen Richtung
schlankweg zu folgen und dem hiefür ungeeigneten Gruppenporträt zu entsagen oder aber, wenn sie
diese nationale Kunstgattung nicht entbehren mochten, in der Entwicklung stillezuhalten und auf Jahr-
hunderte hinaus auf jede weitere schöpferische Mitwirkung an der Geschichte der Malerei zu verzichten.
Die Holländer haben bekanntlich das Letztere vorgezogen.
Aus der novellistischen Richtung, die zur physischen und psychischen Uniformierung der Einzel-
figur drängte, erklärt sich schliesslich auch das Widerstreben gegen jede innere Subordination im Bilde
— eine Tendenz, in der sich zugleich auch wieder der Haarlemer Künstler verräth. Bei Valckert brauchen
wir trotz der auch von ihm angestrebten Coordination Aller nicht lange zu suchen, wer die Frage an
die Partei stellt und sich dadurch als Vorsitzender geberdet. Dagegen haben wir im männlichen Re-
gentenstücke des Jan de Bray Mühe, denselben zu finden, bis wir ihn ganz rechts am Ende eruieren,
und vollends im weiblichen Regentenstück bleiben wir lediglich auf die Vermuthung angewiesen, die
uns am ehesten in der ganz links Sitzenden mit dem halbgeöffneten Munde die Sprecherin erkennen
lässt. Hienach könnte man den Unterschied zwischen den Auffassungen in den Regentenstücken des
W. van Valckert und Jan de Bray dahin definieren, dass, während der Amsterdamer in der durchge-
führten äusseren Einheit bereits das kommende Streben nach innerer dramatischer Einheit und rela-
tiver Subordination erkennen lässt, der Haarlemer hingegen den Rest jener subordinativen Einheit ab-
zustreifen strebt, die ihm die unmittelbar vorangehende Entwicklung aufgenöthigt hatte. Und so ver-
steht man endlich auch von diesem Schlusspunkte aus am vollkommensten die Ablehnung, welche die