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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Zur Kenntnis der künstlerischen Überlieferung im späten Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0320
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Julius von Schlosser.

Fig. 8. Atelier des Lucas. Aus einer byzantinischen Handschrift.
(Nach Bordier).

Vademecum eines fahrenden Malergesellen.

i.

Die Sammlung kunstgewerblicher Gegenstände des Allerhöchsten Kaiserhauses bewahrt unter
den Resten der einstigen Bücherei auf Schloss Ambras ein ganz einzig dastehendes kleines Denkmal.
Es ist eine Folge von vierzehn wandschirmartig, in der Art der ostasiatischen Bilderbücher zusammen-
faltbaren Täfelchen aus lichtem Ahornholz, fast quadratisch gestaltet (9-5 :9 cm), in denen je vier kleine
Gevierte derart flach eingeschnitten sind, dass sie als Rahmen für ebensoviel kleine Darstellungen,
fast durchaus Kopfstudien, dienen. Diese sind auf grün grundiertem Papier mit der Feder gezeichnet;
die Modellierung ist unter Benützung des grünlichen Tones durch Aufsetzen weisser Lichter mit dem
Pinsel bewerkstelligt, nur Einzelheiten, wie Lippen, Wangen, die Blutstropfen am Christushaupte u. s. w.
sind mit sparsamem Roth wiedergegeben. Es ist im Wesentlichen jene Grisaillentechnik, die nament-
lich in den französischen Miniaturhandschriften der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts so beliebt
ist, noch in den Limousiner Emailarbeiten der Renaissance nachklingt, aber auch in Italien bekannt
und verbreitet war, wo sie der späte Giottist Cennino ganz übereinstimmender Weise in seinem Tractat
(cap. 15, 16, 3i, 32) beschreibt. Einzig und allein die beiden schon durch ihre überquere Stellung auf-
fallenden kleinen Porträte eines Ehepaares am Schlüsse des Büchelchens sind in Farben ausgeführt:
der Mann trägt ein dunkles Unterkleid mit rothem Ueberwurf, im braunen Lockenhaar einen wohl
emailliert zu denkenden blauen Reifen mit rothen Strichen und weissen Punkten, die Frau ein rothes
Kleid und weisses Gebende. Das Ganze ist noch in seinem alten Futteral von geschnittenem Leder
(mit Weinblattmotiven) geborgen; es hat an beiden Seiten Oesen, die offenbar dazu dienten, um das
Kästchen bequem am Gürtel tragen zu können, wie man es mit Tintenfass und Pennal zu thun
gewohnt war. Der Jesaias Sluters in der Chartreuse Champmol hat so an seinem schweren Leibgurt
ein ganzes Schreibarsenal verwahrt: Mappe und Tasche, Schreibzeug und Federbüchse. Ein ganz ähn-
liches Futteral aus derselben Zeit besitzt übrigens das South Kensington Museum.1

Das Büchlein trägt noch die Signaturen von zweien seiner ehemaligen Besitzer zur Schau. Die
erste, von einer Hand der maximilianischen Zeit, befindet sich auf der leeren Rückseite des letzten
Täfelchens, ist aber leider fast ganz unleserlich geworden; ich habe auch mit Hilfe der Photographie
vergeblich versucht, ihr beizukommen. E. v. Sacken hat in seiner Beschreibung der Ambraser Sammlung

1 S. die Abbildung bei Witthaus, Selected examples of decoration from S. K. Museum, pl. 43.
 
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