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Julius von Schlosser.
auf kunstgewerblichem Gebiete bis tief in die Spätrenaissance hinein fort und mündet schliesslich im
modernen Vorlagenwerk aus. Es genügt, an die zahlreichen Schriftmusterbücher (von denen die kaiser-
lichen Sammlungen namentlich sehr schöne Exemplare von der Hand des G. Bocskay und G. Huf-
nagel besitzen) und an die verschiedenen
»Kunstbüchlein« der Brosamer, Vogtherr, Jost
Amman u. s.w. zu erinnern.1
Das eine der gerade erwähnten Muster-
bücher2 befindet sich auf der Hofbibliothek
in Wien (Cod. 507, alt Hist. prof. 665) und
dürfte im Anfange des XIII. Jahrhunderts viel-
leicht auf österreichischem Boden entstanden
sein, worauf neben anderen Indicien auch seine
vermuthliche Herkunft aus dem steirischen
Kloster Rein weist.3 Es umfasst dreizehn Blät-
ter, die gegenwärtig einem Sammelbande aus
encyklopädischen und historischen Tractaten
vorgeheftet sind, und enthält sehr sauber in
schwarzer und rother Tinte, von geübter Hand
entworfene Federzeichnungen (Tafel XXVII,
XXVIII). Dass das Ganze ein Fragment aus dem
Entwurf- und Musterbuche eines Buchmalers
ist, zeigt sein Inhalt deutlich. Voran gehen
zwölf sehr merkwürdige Darstellungen, in denen
Wattenbach, durch den äusseren Schein ver-
führt, Bilder der zwölf Monate hat sehen wol-
len; es sind aber die Artes mechanicae, die ver-
schiedenen Gewerbe und Beschäftigungen der
Fig. 11. Aus dem Musterbuche des Stephan von Urach in München. Menschen, die hier allerdings zweifellos dem
Schema der Monatsbilder nachgebildet sind und
in gewissem Sinne sich als frühe mittelalterliche Vorgänger des merkwürdigen Cyklus im Palazzo
Schifanoja zu Ferrara darstellen.4 Hierauf folgen einige Physiologusbilder, dann das eigentliche Muster-
buch, allerhand wirkliche und fabelhafte Thiere, grosse Initialen, Zierbuchstaben und Ornamente
aller Art, oft von recht zierlicher Erfindung, enthaltend. Für die Auffassung des mittelalterlichen
Künstlers (der eher von einer klösterlichen Schreibschule als aus einer Miniatorenwerkstatt herzu-
stammen scheint) ist es übrigens charakteristisch, dass die Thierfiguren mitten zwischen die Initialen
1 Eine brauchbare Zusammenstellung findet man in dem Büchlein von H. L. Boersma, Kunstindustrieele Literatuur,
's Gravenhage 1888.
2 Eine kurze Beschreibung hat Wattenbach schon vor vielen Jahren im Pertz'schen Archiv X, 475, gegeben.
3 Katalog der Miniaturenausstellung der k. k. Hofbibliothek, Wien 1901, S. i3, Nr. 59. Eine unerfreuliche Staffage
unserer Alpenländer, die Figur eines halbthierischen Idioten mit drei Kröpfen, findet sich von einer anderen, jüngeren Hand
eingezeichnet auf fol. 9V. Sie hat, als Drölerie, rein ornamentalen Zweck; für die Anschauung des Mittelalters ist es lehrreich,
wie das mit realistischen Zügen reproducierte Erinnerungsbild sofort, selbst im Kntwurf, in das Decorative umschlägt. Der
Rüpel hält nämlich einen Rankenstab in der Linken, der in eine Thierfratze endigt.
4 Auch die deutlich durch ihre Attribute gekennzeichneten Personifikationen der einzelnen Gewerbe in den Lunetten
stammen aus dem Schema der Monatsbilder; der astrologische Glaube an die Bestimmung durch die Nativität, den Einfluss
der Gestirne und der Zeichen des Thierkreises auf Leben und Treiben der Menschen hatte diesen »Regenten« den Platz be-
reitet. Zu dem seit Isidor feststehenden Canon der sieben Artes mechanicae (lanificium, armatura, navigatio, agricultura, venatio,
medicina und theatrica) treten allmälig und ziemlich frühe noch andere: die bildenden Künste, selbst die Kochkunst, die
auch hier vorkommen (vgl. über dies alles dieses Jahrbuch XVII, 3y ft'.). Das erste und letzte Bild, weltliches Liebes- und
Eheleben und Priesterstand, erscheinen als Contraste; die übrigen ordnen sich leicht dem Schema ein: 2. und 3. Viehzucht
und Ackerbau; 4. Schmiede- und Zimmermannkunst (armatura); 5. und 6. Weberei, Gerberei (?) und Schusterhandwerk
(man vergleiche damit die ganz übereinstimmenden, von Schedel beschriebenen Bibliotheksfresken des einstigen Prämonstra-
Julius von Schlosser.
auf kunstgewerblichem Gebiete bis tief in die Spätrenaissance hinein fort und mündet schliesslich im
modernen Vorlagenwerk aus. Es genügt, an die zahlreichen Schriftmusterbücher (von denen die kaiser-
lichen Sammlungen namentlich sehr schöne Exemplare von der Hand des G. Bocskay und G. Huf-
nagel besitzen) und an die verschiedenen
»Kunstbüchlein« der Brosamer, Vogtherr, Jost
Amman u. s.w. zu erinnern.1
Das eine der gerade erwähnten Muster-
bücher2 befindet sich auf der Hofbibliothek
in Wien (Cod. 507, alt Hist. prof. 665) und
dürfte im Anfange des XIII. Jahrhunderts viel-
leicht auf österreichischem Boden entstanden
sein, worauf neben anderen Indicien auch seine
vermuthliche Herkunft aus dem steirischen
Kloster Rein weist.3 Es umfasst dreizehn Blät-
ter, die gegenwärtig einem Sammelbande aus
encyklopädischen und historischen Tractaten
vorgeheftet sind, und enthält sehr sauber in
schwarzer und rother Tinte, von geübter Hand
entworfene Federzeichnungen (Tafel XXVII,
XXVIII). Dass das Ganze ein Fragment aus dem
Entwurf- und Musterbuche eines Buchmalers
ist, zeigt sein Inhalt deutlich. Voran gehen
zwölf sehr merkwürdige Darstellungen, in denen
Wattenbach, durch den äusseren Schein ver-
führt, Bilder der zwölf Monate hat sehen wol-
len; es sind aber die Artes mechanicae, die ver-
schiedenen Gewerbe und Beschäftigungen der
Fig. 11. Aus dem Musterbuche des Stephan von Urach in München. Menschen, die hier allerdings zweifellos dem
Schema der Monatsbilder nachgebildet sind und
in gewissem Sinne sich als frühe mittelalterliche Vorgänger des merkwürdigen Cyklus im Palazzo
Schifanoja zu Ferrara darstellen.4 Hierauf folgen einige Physiologusbilder, dann das eigentliche Muster-
buch, allerhand wirkliche und fabelhafte Thiere, grosse Initialen, Zierbuchstaben und Ornamente
aller Art, oft von recht zierlicher Erfindung, enthaltend. Für die Auffassung des mittelalterlichen
Künstlers (der eher von einer klösterlichen Schreibschule als aus einer Miniatorenwerkstatt herzu-
stammen scheint) ist es übrigens charakteristisch, dass die Thierfiguren mitten zwischen die Initialen
1 Eine brauchbare Zusammenstellung findet man in dem Büchlein von H. L. Boersma, Kunstindustrieele Literatuur,
's Gravenhage 1888.
2 Eine kurze Beschreibung hat Wattenbach schon vor vielen Jahren im Pertz'schen Archiv X, 475, gegeben.
3 Katalog der Miniaturenausstellung der k. k. Hofbibliothek, Wien 1901, S. i3, Nr. 59. Eine unerfreuliche Staffage
unserer Alpenländer, die Figur eines halbthierischen Idioten mit drei Kröpfen, findet sich von einer anderen, jüngeren Hand
eingezeichnet auf fol. 9V. Sie hat, als Drölerie, rein ornamentalen Zweck; für die Anschauung des Mittelalters ist es lehrreich,
wie das mit realistischen Zügen reproducierte Erinnerungsbild sofort, selbst im Kntwurf, in das Decorative umschlägt. Der
Rüpel hält nämlich einen Rankenstab in der Linken, der in eine Thierfratze endigt.
4 Auch die deutlich durch ihre Attribute gekennzeichneten Personifikationen der einzelnen Gewerbe in den Lunetten
stammen aus dem Schema der Monatsbilder; der astrologische Glaube an die Bestimmung durch die Nativität, den Einfluss
der Gestirne und der Zeichen des Thierkreises auf Leben und Treiben der Menschen hatte diesen »Regenten« den Platz be-
reitet. Zu dem seit Isidor feststehenden Canon der sieben Artes mechanicae (lanificium, armatura, navigatio, agricultura, venatio,
medicina und theatrica) treten allmälig und ziemlich frühe noch andere: die bildenden Künste, selbst die Kochkunst, die
auch hier vorkommen (vgl. über dies alles dieses Jahrbuch XVII, 3y ft'.). Das erste und letzte Bild, weltliches Liebes- und
Eheleben und Priesterstand, erscheinen als Contraste; die übrigen ordnen sich leicht dem Schema ein: 2. und 3. Viehzucht
und Ackerbau; 4. Schmiede- und Zimmermannkunst (armatura); 5. und 6. Weberei, Gerberei (?) und Schusterhandwerk
(man vergleiche damit die ganz übereinstimmenden, von Schedel beschriebenen Bibliotheksfresken des einstigen Prämonstra-