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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Zur Kenntnis der künstlerischen Überlieferung im späten Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0339
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Zur Kenntnis der künstlerischen L'eberlieferung im späten Mittelalter.

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Ich bin jetzt in der Lage, die Quelle von Giustos Malereien ganz sicher nachzuweisen. Die herr-
liche, nunmehr vom Duc d'Aumale der französischen Nation vererbte Bibliothek von Cbantilly be-
wahrt eine oberitalienische Handschrift (Nr. 1426), die sich im XVIII. Jahrhundert in der Bibliothek der
Grafen Archinto zu Mailand, wo sie Argelati (Bibl. Scriptor. Mediolanens. II, 1596) bereits 1745 be-
schrieb, befunden hat, dann
in den Achtzigerjahren des
verflossenen Jahrhunderts
nach England verkauft wur-
de und schliesslich dem
fürstlichen Bibliophilen in
die Hände gefallen ist.1 Der
Titel der Handschrift be-
lehrt uns ausdrücklich über
ihre Bestimmung: »Cantica
ad gloriam et honorem ma-
gnifici militis domini Bru-
tii, nati incliti ac illustris
prineipis domini [Luchini]
vicecomitis de Mediolano,
in qua tractatur de virtu-
tibus et scientiis vul-
garizatis.« Es ist also ein
an Bruzio Visconti, den
Sohn des Luchino und
Herrn von Lodi, gerichte-
tes Lehrgedicht, möglicher-
weise zwischen i353 und
1356, als dieser in Bologna
weilte, entstanden2; denn
als Verfasser nennt sich
ausdrücklich Bartolommeo
de'Bartoli da Bologna, der
im Widmungsblatt, das
schon Litta in seiner Ge-
nealogie der Visconti ab-
gebildet hat, als »composi-
tor operis« von der »Discre-
tio mater virtutum« und
der »Docilitas mater scien-

tiarum« geleitet, knieend dem in ritterlicher Pracht, hoch zu Ross erscheinenden Visconti präsentiert
wird. Bruzio hat selbst in der Dichtkunst dilettiert; auch Bartolommeo de' Bartoli ist kein Unbe-
kannter, er nennt sich als Schreiber in mehreren Handschriften, einer Divina Commedia in der Chi-
giana zu Rom, einem von 1349 datierten Officium in Kremsmünster, sowie in einem Missale von 1364
in München, das er mit dem berühmten Miniator Niccolö von Bologna zusammen gearbeitet hat.3

Fig- 15-

Theologie. Aus der Handschrift in Chantilly.

(Nach einer Zeichnung).

1 Beschrieben in dem Katalog von Chantilly, Le Cabinet des livres manuscrits, Paris 1900, 11, p. 345 f. (mit Heliogravüre
des Titelbildes). Die beiden im Text mitgethcilten Proben sind unter Benützung von Skizzen hergestellt, die ich mir 1901 in
Chantilly angefertigt habe.

2 Nach den Angaben von Dorez in dem eben erwähnten Kataloge von Chantilly, a. a. O.

3 Bradley, Dictionary of miniaturists I, 97; Neuwirth im Repertorium für Kunstwissenschaft X, 396.
 
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