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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Zur Kenntnis der künstlerischen Überlieferung im späten Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0340
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334

Julius von Schlosser.

Ich kann mich hier über dies merkwürdige Manuscript um so kürzer fassen, als Herr Leon Dorez
von der Nationalbibliothek in Paris eine vollständige Ausgabe vorbereitet, die demnächst im Verlage
des Istituto Italiano d'arti grafiche zu Bergamo erscheinen wird. Das Werk des Bartoli ist ein scholasti-
sches Lehr- und Lobgedicht, gänzlich im Stile der Zeit, seinem Geiste nach dem merkwürdigen Enco-
mium auf Robert von Neapel, das dem Convenevole von Prato zugeschrieben wird,1 nächstverwandt.
Das Ganze ist halb in Latein, halb in etwas holperigen und dialektisch gefärbten italienischen Versen
abgefasst; der Eingang gibt die Absicht des Autors kund, die Töchter der Discretio und der Docilitas,
nämlich die sieben Tugenden und sieben freien Künste (die natürlich alle dem Bruzio Visconti Gefolg-
schaft leisten), zu besin-
gen; daran schliesst sich
eine Anrufung des heil.
Augustinus, da je ein
Ausspruch, aus seinen Wer-
ken gezogen, die Rubrica
des betreffenden Capitels
bilden soll. Was die sech-
zehn folgenden Seiten, jede
mit einer grossen aquarel-
lierten Federzeichnung ge-
schmückt, bringen, zeigt
uns mit vollster Deutlich-
keit, dass wir hier die Ur-
schrift des uns schon be-
kannten scholastischen Cy-
klus vor uns haben. Die
Theologie eröffnet den
Reigen der Tugenden mit
den niedergeworfenen Re-
präsentanten der Hauptla-
ster; ihre Darstellung (Fig.
15) ist uns besonders werth,
weil sie in allen anderen
Texten fehlt und bei Sche-

Fig. 16. Prudentia. Aus der Handschrift in Chantilly. del "Ur 8anz summarisch

(Nach einer Zeichnung.) als »virg° tenens speCU-

lum« beschrieben ist; dann

folgt die Philosophie mit den Künsten und deren Vertretern. Die Stellen aus Augustinus decken sich
völlig mit den in den übrigen Handschriften citierten, sowie auch die von einer sehr geschickten Hand
ausgeführten Darstellungen die älteste und genaueste Fassung aufweisen, als die eigentlichen Original-
compositionen anzusehen sind. Denn es kann schwerlich einem Zweifel unterliegen, dass wir es mit
einem individuellen und selbständigen Werke des bolognesischen Schreibmeisters zu thun haben, wenn
dieses auch nur eine Compilation aus altüberlieferten Bestandtheilen ist, die sich, wie wir gesehen
haben, zum Theil bis in die gedruckten Gebetbücher des XVI. Jahrhunderts hinein verfolgen lassen.

Es ist von Belang, das Verhältnis dieser Urschrift zu den übrigen, abgeleiteten Fassungen zu prü-
fen. Da zeigt sich vor allem, dass das vermeintliche Skizzenbuch des Giusto im römischen Kupferstich-
cabinet mittelbar von dem Original des Bartolommeo de' Bartoli abgeleitet ist, jener Zeichner des
XV. Jahrhunderts also zwei ihm vorliegende ältere Handschriften, das Lehrgedicht des Bolognesen und

1 Als dessen Anhang erscheint in den Exemplaren von Wien und Florenz eben unsere Miniaturent'olge.
 
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