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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 27.1907-1909

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I. Theil: Abhandlungen
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Gruenwald, Alois: Über einige Werke Michelangelos in ihrem Verhältnisse zur Antike
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https://doi.org/10.11588/diglit.5947#0151
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Über einige Werke Michelangelos in ihrem Verhältnisse zur Antike.

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der Knochenbau wird stärker betont, die Gelenke hervorgehoben, überall Leben und Bewegung in die
Figur gebracht. Schlössen die Unterarme, unmittelbar übereinander gelegt, eng aneinander, gingen sie
unmerklich weich in dem Kontur in einander über, so sind sie nun gewaltsam getrennt und kräftig
gegen den Kopf gezogen, was naturgemäß eine stärkere Beugung zur Folge hat. Selbst in den feinsten
Einzelheiten, z. B. in dem beschämt zur Erde gesenkten Kopf, in der Stellung der Beine, deren Ober-
schenkel mehr nach rechts gedreht sind, während der rechte Fuß weiter nach links rückt und etwas
stärker an den Leib gezogen wird, geht eine Steigerung der Raumwirkung mit größerer Prägnanz des

Ausdruckes Hand in Hand. Und doch
handelte es sich dem Künstler in
diesem Entwürfe nicht so sehr da-
rum, die Einzelheiten genau zu fixie-
ren, als vielmehr die Gesamtwirkung
zu erproben, seine Gestalten auf ihren
dekorativen Wert hin zu prüfen. Wo
man unverarbeitetes Rohmaterial er-
warten würde, findet sich schon reiche

Stilisierung.

Michelangelo ist bei diesem Sta-
dium nicht stehen geblieben. Schon
die Zeichnung der Uffizien (Fig. 17)
zeigt unsere Figur in deutlicher Wei-
terentwicklung. Das rechte Bein ist
noch weiter nach links gerückt, sein
Fuß noch höher an den Leib gezogen
und berührt kaum mehr mit der äußer-
sten Spitze den Boden. Die Rechte ist
energischer gebeugt, der linke Ober-
arm nähert sich noch mehr der Mitte,
so daß er bereits vertikal zu stehen
kommt. Hier vollzieht sich eine orga-
nische Entwicklung, die in einem Ox-
forder Blatte (Phot. Braun 6g, Fig. 18)
ihren Abschluß findet. Zwischen einer
Reihe prächtiger Skizzen, unter denen
wir auch eine Studie zu dem einen
Sklaven des Louvre erkennen, der dies-
mal bärtig dargestellt ist, finden wir unsere Gestalt, die bei aller Skizzenhaftigkeit der Zeichnung doch
bereits eine Vorstellung davon gibt, wie ungefähr Michelangelo das Werk in Marmor ausgeführt haben
würde. War es bisher vor allem die Linienführung, durch die der Künstler wirkte, so sind es nun
die Massen, die er in Bewegung setzt. Der Kontur ist geschlossener, die ganze Figur auf einen mög-
lichst engen Raum zusammengedrängt, jeder Bewegungsfreiheit, die ihr bisher gegönnt war, beraubt.
Wo Michelangelo früher, einen unmerklich weichen Übergang der Arme zu vermeiden, Hand von
Hand gelöst, die Umrißlinie energisch durchbrochen hatte, bindet er nun seinen Sklaven Handgelenk
an Handgelenk fest, weiß aber durch gewaltige Richtungskontraste das Peinliche der Lage um so
überzeugender darzustellen. Wie qualvoll wirkt nicht die Fesselung der Arme unmittelbar im Nacken,
die spitze winkelige Beugung der Arme, das energische Heraustreten des linken Ellbogens direkt dem
Beschauer entgegen, das hoffnungslos an die Brust sinkende Haupt, das zwischen den beiden Armen
wie eingeklemmt erscheint! Nun wird erst klar, warum vom ersten Entwurf angefangen die Arme
immer fester an den Kopf gezogen werden, die Linke immer stärker in die Mitte rückt, der Kopf



Fig. 17. Aus einer Handzeichnung
' der Uffizien nach Michelangelo.

Fig. 18. Sklave
von einem Oxforder Blatt.
 
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