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Alois Grünwald.
eingelassen war, durch antike Variationen des gleichen Typus gesichert erscheint. Freilich ist es bisher
nicht gelungen, die Existenz eines solchen Werkes vor der Mitte des XVI. Jahrhunderts nachzuweisen; doch
glauben wir, seinen Einfluß schon an
Ghibertis erster Bronzetür feststellen
zu können.
Die im Vordergrund der Vertrei-
bung der Händler aus dem Tempel
niedergestürzte männliche Figur (Fi-
gur 27), die in ihrem ganzen Charak-
ter etwas aus der Darstellung heraus-
fällt, ist unserer Ansicht nach nichts
anderes als eine Variation des Leda-
motivs. Die Haltung stimmt, im Spie-
gelbilde gesehen, bei beiden so auffal-
lend überein, daß wir einen Zweifel
an der Berechtigung dieser Zusammen-
stellung wohl kaum zu gewärtigen
haben: denn wenn sich Ghiberti auch
'Jm- ■
Fig. 28. Mediceergemme.
keineswegs als sklavischer Nachahmer erweist, so sind doch alle Abweichungen teils durch den ver-
änderten Stoff, teils durch seine stilistische Eigenart ohne weiteres erklärlich. Wie durch Veränderung
der Ponderation die Lage einen
ganz anderen Sinn bekommt, wie
das Gelenk der Linken scharf aus-
geprägt erscheint, wie die Tiefen-
wirkung gesteigert, der Achsen-
reichtum erhöht, der linke Unter-
schenkel kräftig an den Oberschen-
kel gezogen wird, das Knie in den
Vordergrund heraustritt, der rechte
Oberarm im Hintergrund verschwin-
det, das alles findet Analogien.
Schon in der Umgestaltung des Ilio-
neus zum Isaak offenbart sich bei
aller Jugend das mächtigste künst-
lerische Wollen. Welcher Schwung,
welches Pathos, welche Glaubens-
freudigkeit liegt nicht in der kraft-
vollen Streckung des Oberkörpers,
dem vornehm zurückgeworfenen
Haupt. Der Parallelismus beider
Beine, den der Künstler bei der
antiken Statue vorfand, genügte
ihm nicht mehr; er trennte die Knie
stärker von einander, schob das
rechte mehr zurück, während das
linke im Vordergrund bleibt, ja er
wagte es sogar, ohne Rücksicht auf
seine damals noch nicht ganz aus-
Fig. 29. Aus der Geschichte Abrahams an Ghibertis Paradiesestür. reichenden Kräfte, die Unterschen-
Alois Grünwald.
eingelassen war, durch antike Variationen des gleichen Typus gesichert erscheint. Freilich ist es bisher
nicht gelungen, die Existenz eines solchen Werkes vor der Mitte des XVI. Jahrhunderts nachzuweisen; doch
glauben wir, seinen Einfluß schon an
Ghibertis erster Bronzetür feststellen
zu können.
Die im Vordergrund der Vertrei-
bung der Händler aus dem Tempel
niedergestürzte männliche Figur (Fi-
gur 27), die in ihrem ganzen Charak-
ter etwas aus der Darstellung heraus-
fällt, ist unserer Ansicht nach nichts
anderes als eine Variation des Leda-
motivs. Die Haltung stimmt, im Spie-
gelbilde gesehen, bei beiden so auffal-
lend überein, daß wir einen Zweifel
an der Berechtigung dieser Zusammen-
stellung wohl kaum zu gewärtigen
haben: denn wenn sich Ghiberti auch
'Jm- ■
Fig. 28. Mediceergemme.
keineswegs als sklavischer Nachahmer erweist, so sind doch alle Abweichungen teils durch den ver-
änderten Stoff, teils durch seine stilistische Eigenart ohne weiteres erklärlich. Wie durch Veränderung
der Ponderation die Lage einen
ganz anderen Sinn bekommt, wie
das Gelenk der Linken scharf aus-
geprägt erscheint, wie die Tiefen-
wirkung gesteigert, der Achsen-
reichtum erhöht, der linke Unter-
schenkel kräftig an den Oberschen-
kel gezogen wird, das Knie in den
Vordergrund heraustritt, der rechte
Oberarm im Hintergrund verschwin-
det, das alles findet Analogien.
Schon in der Umgestaltung des Ilio-
neus zum Isaak offenbart sich bei
aller Jugend das mächtigste künst-
lerische Wollen. Welcher Schwung,
welches Pathos, welche Glaubens-
freudigkeit liegt nicht in der kraft-
vollen Streckung des Oberkörpers,
dem vornehm zurückgeworfenen
Haupt. Der Parallelismus beider
Beine, den der Künstler bei der
antiken Statue vorfand, genügte
ihm nicht mehr; er trennte die Knie
stärker von einander, schob das
rechte mehr zurück, während das
linke im Vordergrund bleibt, ja er
wagte es sogar, ohne Rücksicht auf
seine damals noch nicht ganz aus-
Fig. 29. Aus der Geschichte Abrahams an Ghibertis Paradiesestür. reichenden Kräfte, die Unterschen-