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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 27.1907-1909

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I. Theil: Abhandlungen
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Gruenwald, Alois: Über einige Werke Michelangelos in ihrem Verhältnisse zur Antike
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https://doi.org/10.11588/diglit.5947#0161
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Ober einige Werke Michelangelos in ihrem Verhältnisse zur Antike. l§3

lieh Michelangelo selbst ohne Bedenken eine antike Nike in einen leuchtertragenden Engel umgewandelt?
Auch bei der «Nacht» muß der Künstler völlig im klaren darüber gewesen sein, welchem Vorwurf er das
Motiv entnahm; legte er es doch fast gleichzeitig selbst einer Leda (Fig. 3a) zugrunde. Wenn in dieser
Schöpfung aus dem jugendfrischen Leib des antiken Reliefs ein mfichtig entwickelter Frauenkörper ge-
worden ist, dessen Wirkung durch Reichtum der Bewegung noch erhöht erscheint; wenn ein Teil des
Rumpfes energisch dem Beschauer zugewendet wird, während der andere mehr in Profilstellung verharrt;
wenn das eine Bein stärker an den Leib gezogen, der früher im Hintergrund verborgene Arm vorn mit dem
linken Oberschenkel zur Berührung gebracht wird, so beweist dies alles, daß beide Werke, so verschie-
den sie sonst auch sein mögen, sich nach denselben Stilprinzipien aus der antiken Darstellung entwickelt
haben. Die Veränderung der Ponderation stimmt hiezu vorzüglich. Schon beim schönen Sklaven der
sixtinischen Decke konnten wir beobachten, wie durch Lösung des Fußes von der tragenden Unterlage
die Haltung eine ganz andere Bedeutung gewann. In der Figur des Juliusgrabes lastet das früher gleich-
mäßig verteilte Körpergewicht, zu erdrückender Wucht gesteigert, einzig und allein auf dem linken
Beine; im Sturze Phaethons schreitet der Knabe mit der Urne, abweichend von der ruhigen Haltung des
antiken Vorbildes, gewaltig aus, um mit Anspannung aller Körperkräfte seine fast den Nacken herab-
gleitende Bürde fortzuschleppen; bei der Leda hat Michelangelo durch Hochnehmen des Unterstützungs-
punktes die Schmiegsamkeit eines mächtigen Frauenkörpers in seiner ganzen üppigen Schönheit charak-
terisiert, gleichzeitig aber in der mehr hängenden Lage wie den unbemerkt gelösten Locken das Unbe-
wußte der Haltung, das Traumhafte des Zustandes glänzend getroffen

Sehr fein ist in der «Nacht» (Fig. 33) an Stelle des behaglichen Aufstützens auf den ganzen Unter-
arm die kolossal wirkende Unterstützung in der Achselgrube getreten - mit dem steil abfallenden Ober-
arm und der müde hingelegten Hand. Wie stimmungsvoll durch die mehr hegende Haltung des Rumpfes
die Schwere und Hinfälligkeit des von tiefstem Schlafe bezwungenen Korpers zur Geltung kommt, mit
welch unglaublichen Kontrasten künstlerische Wirkungen erzielt wurden Man vergegenwärtige sich
nur, wie durch den größten Achsenreichtum tiefste Schlafesruh , durch stärkste Bewegung vollständige
Willenlosigkeit und Ohnmacht ihren Ausdruck findet; man beachte den wundervollen Gegensatz zwi-

, , ..r • r -1 .. i • xt i „ „nA dem schlummermüd zur Brust niedergleitenden
sehen dem kraftigen, fast übermächtigen Nacken und aem » o cncuucu

„ , , • . r, . , j x, , , j;„ Soreen des Alltags schwinden, werden alle kleinlichen

Haupt — und wie im Zauberbanne der Nacht die aorgeu ^ , . . ,

- , , .. , ... n i .. i • •,, Mppr von Vergessenheit sinken.

Bedenken vor dieser herrlichen Schöpfung in ein Meer von <= s

Fig. 33. Michelangelos «Nacht».

xx vii.

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