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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 27.1907-1909

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I. Theil: Abhandlungen
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Gruenwald, Alois: Über das Schicksal des Ilioneus
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https://doi.org/10.11588/diglit.5947#0164
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156 Alois Grünwald.

Eine im Spiegelbild entsprechende Haltung der Schultern und des zwar fehlenden, in seiner Rich-
tung aber bestimmbaren Kopfes dürfte zu dieser Annahme geführt haben. Was aber mit zwingender
Gewalt gegen den Satyr zu sprechen scheint, an dem übrigens außer dem Kopfe noch die Arme und
die ganzen Beine vom Becken abwärts fehlen, ist, abgesehen von den ausgesprochen herkulischen For-
men, — Isaak ist ein zarter Knabe — in erster Linie seine Körperlage. Wie man nämlich heute noch
am Torso mit größter Wahrscheinlichkeit konstatieren kann, lag der Satyr etwa in der Art des «Ke-
phissos» vom Parthenon oder noch besser des trunkenen Satyrs in Neapel, aber mit übergeschlagenen
Beinen, auf der linken Hüfte und stützte sich dabei mit dem linken Arme auf den Boden (vgl. Amelung
a. a. O.).

Ein Zusammenhang zwischen Satyr und Isaak — und wäre es auch nur ein ganz loser, wie das
Schlosser gemeint hat, — wird nach dem Gesagten kaum mehr aufrecht zu erhalten sein. Dagegen läßt
sich eine unleugbare Beeinflussung des Künstlers durch ein anderes antikes Werk nachweisen oder, ge-
nauer ausgedrückt, man kann zeigen, daß Ghiberti eine griechische Statue zu seinem Isaak umgeschaffen
hat. Und das ist der Ilioneus1 (Tafel XXVIII und XXIX).

Nicht nur in den allgemeinen Umrissen, in der jugendlichen Schönheit des nackten Körpers, auch
in der Haltung und Stellung der Oberschenkel — der rechte mehr vertikal, der linke etwas mehr schräg
vorgesetzt — sowie in der Lage der Schultern, deren rechte erhoben, die linke gesenkt ist, in der bis ins
Detail entsprechenden Bildung der Beckengegend, überall zeigt sich eine derartige Übereinstimmung,
daß ein Zusammenhang zwischen beiden Werken nicht von der Hand zu weisen ist; verrät doch selbst
die veränderte Haltung des rechten Unterschenkels durch ihren gewaltsamen Charakter, durch die un-
organische Verbindung mit dem übrigen Körper, daß der junge Künstler hier von seinem Vorbild ab-
gewichen ist.

Wie aber kommt Ghiberti zum Ilioneus, woher soll er ihn gekannt haben?

Wenn man bedenkt, daß Ghiberti damals kaum das 25. Lebensjahr erreicht hatte und, abgesehen
von seiner Flucht vor der Pest nach Pesaro, noch nicht viel in der Welt herumgekommen war, so wird
man es von vornherein nicht für unwahrscheinlich halten, daß er den Ilioneus vor 1403 in seiner Vater-
stadt gesehen habe. Ja noch mehr, man kann fast mit Gewißheit behaupten, das Werk sei in seinem
Besitze gewesen.

Bekanntlich besaß Ghiberti eine stattliche Antikensammiung. Baldinucci erzählt, es seien, wie er
selbst einem Ausgabebuch des Künstlers entnehme, Antiken von Bronze und Marmor im Werte von
1500 Goldgulden auf Ghibertis Erben übergegangen. Vasari, der infolge seiner freundschaftlichen Be-
ziehungen zum Urenkel Ghibertis, von dem er im Jahre 1528 Zeichnungen des großen Ahnen erhielt,
wirklich über positives Wissen verfügt und nicht Dichtung für Wahrheit auszugeben braucht — wie wir
übrigens anderweitig kontrollieren können — spricht einfach aber klar von «molte anticaglie di marmo,
e di bronzo» und führt dies im folgenden näher aus.2 Insbesondere erwähnt er das «Letto di Poly-
cleto». Dieses sei mit anderen wertvollen Stücken von Vettorio — so hieß der Urenkel Lorenzo Ghi-
bertis — an Monsignore Gaddi, späteren Kleriker der apostolischen Kammer, veräußert worden.

Soweit Vasari. Ergänzend möchte ich seinem Berichte folgendes hinzufügen: Lorenzos Antiken
gingen nach seinem Tode zunächst auf seinen Sohn Vettorio über, der am 18. November 1496 starb;
von diesem erbte sie sein Sohn (Lorenzos Enkel) Buonaccorso, nachdem am 5. Oktober 1496 die
beiden Brüder des Verstorbenen ihm die Hinterlassenschaft zugebilligt hatten.3 Leider verstand es
Buonaccorsos (f 16. Juli 1516) Sohn und Erbe nicht, die vom Vater und Großvater ererbten Schätze zu

1 Das einzige Exemplar der Statue, ein Torso ohne Kopf und Arme (nur deren Ansätze sind vorhanden), befindet sich
in München. Vgl. Furtwängler, Beschreibung der Glyptothek, Nr. 270; Brunn-Bruckmann, Denkmäler, Taf. 432. Sehr be-
zeichnend für den Kunstcharakter des Werkes ist es, daß Furtwängler wie Brunn (in seiner «Beschreibung der Glyptothek»,
Nr. 142) erklären, der Ilioneus habe nur eine Hauptansicht. Furtwängler findet, man müsse ihn von der rechten Körper-
seite her betrachten, während Brunn dasselbe von der linken behauptet; wohl der beste Beweis dafür, daß das Werk mehr
als eine Ansicht zuläßt, somit als Einzelfigur gedacht ist. Wir halten die Deutung als Ganymed für die wahrscheinlichste.

2 Vgl. Ausgabe von Milanesi II, 245.

3 Baldinucci I, p. 385.
 
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