184
F. M. Haberditzl.
breiten Lehnstuhle hat er Platz genommen, seine beiden Jünger Petrus und Johannes stehen hinter ihm.
Dem Heiland gegenüber sitzt Maria in Andacht versunken. Da tritt Martha bei der Tür herein, weist
auf die untätige Schwester und sieht fragend den Herrn an. Nach dem, was wir als gesicherte Werke
des van Noort — zu verweisen ist insbesonders auf die über die ganze Schaffenszeit des Meisters verteil-
ten Stiche und Zeichnungen — erkannt haben, erscheint die Frage, ob hier ein Hauptwerk des van Noort
vorliegt oder ob nicht doch auch Jordaens in Betracht kommen könnte, leicht erledigt. Daß van Noort
auszuschließen ist, ist sicher. Alles deutet vielmehr auf Jakob Jordaens.1 Am meisten charakteristisch
ist der Kopf der eintretenden Martha, ein Typus, den wir auf einer ganzen Reihe von Jordaens-Bildern
wiederfinden. Der Kopf des Petrus ist genau wiederholt auf dem großen Mainzer Bilde des Jordaens
(datiert 1653) «Der zwölfjährige Jesus predigt im Tempel», und zwar in einem der Schriftgelehrten links
(Fig. 25). Es ist unerfindlich, wie Rooses in diesem Kopfe noch Charakteristika des Lambert van
Noort erkennen konnte. Auch das Kolorit des Bildes ist für Jordaens charakteristisch; gerade er liebt
z. B. die Zusammenstellung eines bläulichweißen (Petrus) mit sattfärbigen, dunklen Stoffen. Man ver-
gleiche dazu die vier Evangelisten2 im
Louvre, ein Frühbild des Jordaens. Mi-
chel3 meint, die Zeichnung mancher Fal-
ten wäre doch zu roh für Jordaens. Man
vergleiche jedoch, um nur ein Beispiel
zu nennen, die knittrige Behandlung und
scharfe Brechung der Falten auf der
«Himmelfahrt Maria», einem sicheren
Werke des Jordaens4 in der Teirninck-
schule zu Antwerpen. Auch darin, daß
die räumliche Vertiefung recht mangel-
haft durchgeführt ist, daß die Figuren
gewissermaßen am Hintergrunde kleben,
zeigt sich deutlich die Art des Jordaens.
Unser Bild galt früher auch wirklich
Fig. 21. Jakob Jordaens, Ausschnitt aus dem Familienbild in Kassel. als Jordaens. In der Auktion der Samm-
lung van Schorel* in Antwerpen 1774 wird
ein Bild von Jakob Jordaens folgendermaßen beschrieben: «Jesus Christ chez Marthe et Marie, com-
position de cinq figures, y compris deux apötres, qui sont debout derriere le sauveur, lequel
est assis, ainsi que Marie. Marthe debout sur la porte de l'appartement vient de se plaindre
de sa sceur et recoit la lecon que lui fait le seigneur ä l'occasion de la preference que celle-ci donne ä
la parole divine sur les soins du menage. 66 p (pouces) de haut sur 90 de large. Toile.» Rechnet man
diese Maße in Zentimeter um, so erhält man die Dimensionen des Liller Bildes: röiXz'ig m. Das Bild
wurde um 3o fl. an einen Herrn de Pester verkauft. Als es auf dem Pariser Markte wieder auftauchte,
scheint sich die Tradition bereits verloren zu haben.
1 Während diese Arbeit in Druck gegeben wurde, erschien in der «Revue de l'art ancien et moderne» Nr. i3i,
Tome XXIII, p. 87 ff., ein Aufsatz von F. Benoit, in dem der Verfasser dieses Liller Bild bespricht und zum gleichen Re-
sultat wie die vorliegende Untersuchung gelangt.
2 Frimmel hat in den Blättern für Gemäldekunde, Bd. 1, S. 33, für dieses Bild statt der Bezeichnung: «Die vier Evan-
gelisten» die Deutung «Jesus im Tempel» vorgeschlagen. Abgesehen davon, daß die Figur rechts mit Buch und Feder deut-
lich als Evangelist — wohl Markus — charakterisiert ist, beweist schon ein ganz oberflächlicher Vergleich mit dem Main-
zer Bilde des Jordaens (Jesus im Tempel), daß das Louvre-Bild diese Deutung nicht zuläßt. Im Gegenteil, der Jüngling
im weißen Mantel — zu vergleichen mit dem Johannes auf dem Liller Bilde — kann nur als Johannes gelten.
3 Michel, Rubens, p. 34.
4 Abgebildet im Album der Jordaens-Ausstellung, Antwerpen 1905, woraus auch die meisten Jordaens-Bilder zum Ver-
gleiche herangezogen werden können.
5 Auktionskatalog van Schorel in der Bibliothek der Wiener Akademie der bildenden Künste mit Anmerkungen von
König aus dessen Besitz.
F. M. Haberditzl.
breiten Lehnstuhle hat er Platz genommen, seine beiden Jünger Petrus und Johannes stehen hinter ihm.
Dem Heiland gegenüber sitzt Maria in Andacht versunken. Da tritt Martha bei der Tür herein, weist
auf die untätige Schwester und sieht fragend den Herrn an. Nach dem, was wir als gesicherte Werke
des van Noort — zu verweisen ist insbesonders auf die über die ganze Schaffenszeit des Meisters verteil-
ten Stiche und Zeichnungen — erkannt haben, erscheint die Frage, ob hier ein Hauptwerk des van Noort
vorliegt oder ob nicht doch auch Jordaens in Betracht kommen könnte, leicht erledigt. Daß van Noort
auszuschließen ist, ist sicher. Alles deutet vielmehr auf Jakob Jordaens.1 Am meisten charakteristisch
ist der Kopf der eintretenden Martha, ein Typus, den wir auf einer ganzen Reihe von Jordaens-Bildern
wiederfinden. Der Kopf des Petrus ist genau wiederholt auf dem großen Mainzer Bilde des Jordaens
(datiert 1653) «Der zwölfjährige Jesus predigt im Tempel», und zwar in einem der Schriftgelehrten links
(Fig. 25). Es ist unerfindlich, wie Rooses in diesem Kopfe noch Charakteristika des Lambert van
Noort erkennen konnte. Auch das Kolorit des Bildes ist für Jordaens charakteristisch; gerade er liebt
z. B. die Zusammenstellung eines bläulichweißen (Petrus) mit sattfärbigen, dunklen Stoffen. Man ver-
gleiche dazu die vier Evangelisten2 im
Louvre, ein Frühbild des Jordaens. Mi-
chel3 meint, die Zeichnung mancher Fal-
ten wäre doch zu roh für Jordaens. Man
vergleiche jedoch, um nur ein Beispiel
zu nennen, die knittrige Behandlung und
scharfe Brechung der Falten auf der
«Himmelfahrt Maria», einem sicheren
Werke des Jordaens4 in der Teirninck-
schule zu Antwerpen. Auch darin, daß
die räumliche Vertiefung recht mangel-
haft durchgeführt ist, daß die Figuren
gewissermaßen am Hintergrunde kleben,
zeigt sich deutlich die Art des Jordaens.
Unser Bild galt früher auch wirklich
Fig. 21. Jakob Jordaens, Ausschnitt aus dem Familienbild in Kassel. als Jordaens. In der Auktion der Samm-
lung van Schorel* in Antwerpen 1774 wird
ein Bild von Jakob Jordaens folgendermaßen beschrieben: «Jesus Christ chez Marthe et Marie, com-
position de cinq figures, y compris deux apötres, qui sont debout derriere le sauveur, lequel
est assis, ainsi que Marie. Marthe debout sur la porte de l'appartement vient de se plaindre
de sa sceur et recoit la lecon que lui fait le seigneur ä l'occasion de la preference que celle-ci donne ä
la parole divine sur les soins du menage. 66 p (pouces) de haut sur 90 de large. Toile.» Rechnet man
diese Maße in Zentimeter um, so erhält man die Dimensionen des Liller Bildes: röiXz'ig m. Das Bild
wurde um 3o fl. an einen Herrn de Pester verkauft. Als es auf dem Pariser Markte wieder auftauchte,
scheint sich die Tradition bereits verloren zu haben.
1 Während diese Arbeit in Druck gegeben wurde, erschien in der «Revue de l'art ancien et moderne» Nr. i3i,
Tome XXIII, p. 87 ff., ein Aufsatz von F. Benoit, in dem der Verfasser dieses Liller Bild bespricht und zum gleichen Re-
sultat wie die vorliegende Untersuchung gelangt.
2 Frimmel hat in den Blättern für Gemäldekunde, Bd. 1, S. 33, für dieses Bild statt der Bezeichnung: «Die vier Evan-
gelisten» die Deutung «Jesus im Tempel» vorgeschlagen. Abgesehen davon, daß die Figur rechts mit Buch und Feder deut-
lich als Evangelist — wohl Markus — charakterisiert ist, beweist schon ein ganz oberflächlicher Vergleich mit dem Main-
zer Bilde des Jordaens (Jesus im Tempel), daß das Louvre-Bild diese Deutung nicht zuläßt. Im Gegenteil, der Jüngling
im weißen Mantel — zu vergleichen mit dem Johannes auf dem Liller Bilde — kann nur als Johannes gelten.
3 Michel, Rubens, p. 34.
4 Abgebildet im Album der Jordaens-Ausstellung, Antwerpen 1905, woraus auch die meisten Jordaens-Bilder zum Ver-
gleiche herangezogen werden können.
5 Auktionskatalog van Schorel in der Bibliothek der Wiener Akademie der bildenden Künste mit Anmerkungen von
König aus dessen Besitz.