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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 28.1909-1910

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I. Theil: Abhandlungen
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Röttinger, Heinrich: Breu-Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5949#0095
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Heinrich Röttinger.

Es ist uns nicht überliefert, ob nach dem Tode Breus 1547 die Werkstätte aufgelöst wurde oder
ob sie sich in der Familie forterbte. Bei dem starken Gesellenstande der letzten Lebensjahre Breus waren
in jedem Falle Leute genug vorhanden, die durch ihre Schulung auch über die Lebenszeit des Meisters
hinaus seinem Stile Dauer verleihen konnten. Als Clement Jäger seinen für Hans Jakob Fugger vor-
bereiteten Ehrenspiegel des Hauses Osterreich fertiggestellt hatte, wird er sich unter ihnen um einen zur
Ausschmückung der drei 1555 datierten Prachtexemplare (eines besitzt die Hofbibliothek in Wien, das
andere die Hof- und Staatsbibliothek in München, das dritte die kgl. öftentl. Bibliothek in Dresden1)
tauglichen Helfer umgesehen haben. Dessen Schulbeziehungen, wenn der Ausdruck erlaubt ist, zu Breu
machen zahlreiche Anklänge deutlich, wieder vor allem die Pferdchen und die Kriegertypen oder Dar-
stellungen wie I, n8'/ii9, i36; II,378'/379 (des Münchener Exemplares) etc. Interessanter sind die
Nachwirkungen Breuscher Kunst auf einem Gebiete, auf dem seine Werkstätte ein nur ungenügendes
Dokument in der Schleißheimer Artemisia hinterlassen hatte, auf dem Gebiete der Ölmalerei. Das Bild,
das ich im Auge habe, befindet sich als Nr. 1419 in der Gemäldegalerie des Wiener Hofmuseums, ist auf
Leinwand gemalt, mißt 170 X 357 cm und stellt die Geschichte der Esther dar (Taf. XV). Über die
Zeit seiner Erwerbung durch Erzherzog Ferdinand von Tirol sind wir durch ein im Innsbrucker Statt-
haltereiarchive befindliches, an den Fürsten gerichtetes Schreiben J. Villingers vom 24. November 1569
unterrichtet. Leider befinden wir uns bezüglich der Entstehungszeit des Bildes im Dunkeln. Zwar ist
es durch die daran angebrachten Wappen und Porträte als ein Gemälde gekennzeichnet, das die Er-
innerung an eine zwischen einem Turtzo und einer Dame Rehlinger stattgehabte Eheschließung ver-
ewigen sollte, ihr urkundlicher Nachweis war jedoch nicht zu erlangen. Dem Kostüm nach fällt die
Entstehung des Bildes um die Mitte der Fünfzigerjahre.2 Seine Szene zeigt einen weit ausgedehnten,
von überreichen Renaissancebauten umstandenen Platz. Auf ihm und über die Loggien und Fenster-
öffnungen der Paläste sind die fast unzählbaren Episoden der Esthergeschichte verteilt. Im Vordergrunde
spielen die Begebenheiten des 5. Kapitels. Die weiträumige Buhne mit den Loggien als Seitenkulissen
und der Plattform, unter der sich ein Relieffries mit einem Reiterkampfe nackter Männer hinzieht, im
Hintergrunde erinnert an Breus Susannenblatt und seinen großen Lazarus, die Göttinnen, welche die
Giebel über den Seiten des polygonen Aufbaues auf der Plattform — ein typisches Beispiel gemalter
Augsburger Renaissancearchitektur3 — bekrönen, im besonderen an die Brunnenfiguren des großen
Lazarus. Wie Breus Schnitte ist auch das Bild reichlich mit Tieren (Hunden, Affen, Pfauen, Störchen)
staffiert; der Schimmel, der links zwischen Säulen zur Hälfte sichtbar wird, entspricht bis ins einzelne
den Pferden der Schlittenpartie; und endlich ist auch der Baum des Bildes nur die malerische Ausge-
staltung der Kronenbildungen des Susannenblattes. Merkwürdig ist an dem Bilde die reiche Figuren-
staffage, der sich — ebenfalls echt augsburgisch — sogar der alte Kaiser einfügen mußte. In der bunten
Mischung moderner und alter, einheimischer und fremder Kostüme äußert sich bereits das in jenen
Tagen mächtig werdende Interesse für Trachten. Einzelne dieser Typen erinnern stark an Breu, z. B. die
Türken an die Grabeswächter auf der Auferstehung Christi. Der Maler, der die Staffierung des Bildes
besorgt hatte, war ohne Frage ein Niederländer; die allgemeinen Merkmale, die den Typen des Ge-
sellen C anhafteten, kehren an den Figuren des Gemäldes wieder. Dazu kommt dann noch ihre über-
schlanke Statur, die an den Gestalten der Schnitte Anthoniszoons W. Schmidt 19 und 34—43 voll-
ständig sich deckende Gegenstücke findet. Niederländische Einflüsse fallen auch an den Zierformen

1 Die Kenntnis von Jägers Mitarbeit an dem Werke verdanke ich einer brieflichen Mitteilung P. Dirrs. — Tabulae V,
S. 272, Nr. 86l3 und 8614 ; R. Bruck, Die Malereien in den Handschriften des Königreichs Sachsen, S. 400 ff., Nr. 178.

2 Maßgebend für die Datierung ist die an einigen Landsknechtfigürchen des Hintergrundes bereits ganz ausgebildete
Pluderhosentracht, wie sie das Titelbild zu Andreas Musculus' 1555 erschienenem Hosenteufel (Abb. in Hirths Kulturgeschicht-
lichem Bilderbuche II, 1016) und ein gleichfalls 1555 datierter anonymer Holzschnitt (Steinhausens Monographien I, Abb. 3o)
zeigen. Die Mode, über die M. Osborns Einleitung zu der Ausgabe der Schrift Musculus' in den Neudrucken deutscher Literatur-
werke des XVI. und XVII. Jahrhunderts (Nr. 125) zu vergleichen ist, soll 1553 im Lager des Kurfürsten Moritz von Sachsen
vor Magdeburg entstanden sein.

3 Zu dem Turme rechts hinten hat den Maler der Perlachturm angeregt; die Erzmänner darauf gehen auf die Mori des
Uhrturmes am Markusplatz zurück.
 
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