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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 30.1911-1912

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I. Teil: Abhandlungen
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Kristeller, Paul: Zwei dekorative Gemälde Mantegnas in der Wiener kaiserlichen Galerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.6177#0050
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Paul Kristeller.

Antike besaß. Er bleibt, trotz seiner nun größeren Nachgiebigkeit gegen die antike Form, der Mann der
Wirklichkeit. Er verläßt den sicheren Boden, den die dekorative Bestimmung dem Kunstwerke
bietet, nicht.

Trotzdem hat die andauernde, eingehende Beschäftigung des Künstlers mit den Denkmälern der
antiken Literatur und Kunst wie auch jene früher besprochenen neuen Anschauungen und Wünsche des
Publikums seinem auf die Erzielung einer Illusion gerichteten, im Grunde ganz unantiken Dekorations-
stil neue Wege gewiesen, nicht nur in der Wahl und in der Behandlung der Stoffe sondern auch in der
Beziehung des schmückenden Werkes zum Räume. Die ältere Dekorationskunst sucht die Flächen zu
füllen, sie reiht die Darstellungen eng aneinander, so daß dem überblickenden Auge das Einzelne im Ge-
samtbilde verschwindet. Der neue Stil läßt die einzelnen zur Dekoration verwendeten Darstellungen,
denen er, entsprechend der höheren Bedeutung, die sie als Bilder gewinnen, größere Dimensionen und
größere Figuren zu geben liebt, aus dem Rahmen des Ganzen hervortreten, sucht sie zu isolieren. Ein
Werk wie der Triumphzug Caesars, das ursprünglich die Wände eines Theatersaales verzieren sollte,
bewahrt dem Räume und dem Beschauer gegenüber eine Selbständigkeit als Darstellung und als Kunst-
werk, die die ältere dekorative Kunst und auch Mantegna in seinen früheren Werken nicht beabsichtigt
und beansprucht hatte. Der Triumph Caesars ist wohl eines der frühesten Beispiele jener angedeuteten
Zwischenstufe zwischen Raumdekoration und selbständigem, von der Umgebung fast unabhängigem, die
Aufmerksamkeit des Beschauers durch Inhalt und Form ganz absorbierendem Kunstwerk — das, was
die Dekoration eben nicht sein soll.1 Wenn wir auch über die ursprüngliche Aufstellung der Triumph-
bilder nichts Genaueres wissen, so zeigen doch schon die wenigen erhaltenen Nachrichten und vor allem
das Werk selber, daß hier die Darstellung ein ganz anderes Ubergewicht über die dekorative Funktion
gewonnen hat als selbst in den Fresken der Camera degli sposi. Den vornehmen Besuchern Mantuas
zeigte man damals diese einfach als die «Camera picta», jene als die «Trionfi». Wesentlich ist hierbei,
daß es sich um ein Gelegenheitswerk im besten Sinne, eine Festdekoration für einen profanen Innen-
raum, wenn auch nicht zur einmaligen Verwendung, handelt und um einen beweglichen Raumschmuck.
Es ist das ein wichtiges Moment, daß das Kunstwerk nun bewundert und anspruchsvoll, wie früher nur
ein Kirchenbild, in den Raum eintritt und sich seinen Platz gewissermaßen wählen und ihn wechseln kann.

Andere dekorative Werke von der Bedeutung des Triumphes sind aus Mantegnas späterer Zeit
nicht erhalten, wohl aber eine Reihe auf Leinwand gemalter, kleiner Dekorationsstücke eigenartigen
Stils, die Bronze- oder Steinreliefs nachahmen sollten und offenbar zum Schmucke kleiner, privater
Innenräume oder einzelner Teile oder Geräte in ihnen bestimmt waren. Die illusionistische Tendenz
der Dekorationskunst unseres Meisters kommt auch hier wieder charakteristisch in der täuschenden
Nachahmung der Stoffe und der plastischen Formen zur Geltung. Daneben ist die stärkere Anlehnung
an die Antike in den Kompositionen wie in den Formen beachtenswert. Endlich sind diese Bilder als
freie, bewegliche Schmuckstücke für Wohnräume wichtige Beispiele jenes neuen Dekorationsstils, der
inhaltlich bedeutungsvolle Kunstwerke hervorragender Meister in das vornehme Haus einführt.

Von Mantegnas Gemälden dieser Gattung waren bisher die folgenden, alle auf Leinwand gemalt,
bekannt: der für Francesco Cornaro gemalte Triumph Scipios in das National-Gallery zu London, in
dem die Darstellung wie ein auf dunkelfarbigen Marmor aufgelegtes, den Umrissen nach ausgeschnittenes
Flachrelief aus hellem Marmor erscheint, Samson und Delila ebendort (Fig. 7) und das Urteil Salomos
in der Zeichnungensammlung des Louvre, beide in grau-bräunlicher Steinfarbe auf rötlichgrauen Marmor-
grund gemalt, ebenso wie die Judith in der Galerie zu Dublin. Die Tucia und Sophonisbe ( Sommer und
Herbst genannt) in der National-Gallery zu London und Judith und Dido im Besitze von Mr. Taylor in
London sind in bräunlicher Farbe mit goldgelben Lichtern, also als Nachahmung von Bronzereliefs, die
auf grauen Marmorgrund aufgeheftet sind, ausgeführt und in derselben Weise das Bildchen des Duke of
Buccleugh in Montague House in London, das eine Sybille und einen Propheten darstellt. Ein sehr ver-

1 Michelangelos Gemälde an der Decke der sixtinischen Kapelle z. B. sind durchaus undekorativ, wie sie auch auf
jeden Illusionismus verzichten.
 
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