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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 30.1911-1912

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I. Teil: Abhandlungen
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Kristeller, Paul: Zwei dekorative Gemälde Mantegnas in der Wiener kaiserlichen Galerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.6177#0053
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Zwei dekorative Gemälde Mantcgnas in der Wiener kaiserlichen Galerie.

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klassizistischen Typus, der in den Spätwerken vorherrscht. An der Chlamys, die von dem jungen Körper
fast nichts verhüllt, ihm nur als Hintergrund dient, fehlt nicht die antike Medaille als Schließe. Die
Komposition in ihrem freien, dem hellenistischen verwandten Reliefstil ist sehr original erfunden und
fein abgewogen. Man muß sich aber das Bildchen in die dunkle Holztäfelung eines kleinen Gemaches
eingefügt denken, um seinen dekorativen Wert würdigen zu können. Auch die Opferung Isaaks scheint
reliefmäßiger gedacht als die meisten anderen Kompositionen Mantegnas. Besonders auffallend und ab-
sichtsvoll betont er in den frühesten Werken die Tiefendimension. Er gruppiert die Figuren nach
hinten, vorn eng, hinten in immer weiteren Abständen oder stellt sie in schräger Linie nebeneinander
auf und läßt es fast nie an Gestalten fehlen, die, ganz von vorn gesehen, dem Beschauer entgegenzu-
gehen scheinen oder ihm den Rücken zuwenden, um den Blick in die Tiefe zu leiten. Auch der Triumph
Caesars ist noch nicht reliefmäßig komponiert. Erst in den späten Arbeiten, im Triumph Scipios, in
unseren Bildern, in den Kupferstichen, aber auch in den großen religiösen Gemälden, wird das Flächen-
hafte in der Komposition stärker hervorgehoben, die Figuren auf flachem Plan in ziemlich weiten Ab-
ständen nebeneinander gestellt, der Realismus der Umgebung, des Hintergrundes vermieden, gewiß
nicht ohne Absicht, besonders in diesen direkt für die Dekoration bestimmten, als Nachahmung plasti-
scher Formen gedachten Stücken. In seinen frühen Werken hat Mantegna antike Reliefs häufig und
reichlich als Schmuck von Gebäuden u. dgl. angebracht; hier treten diese Reliefnachahmungen aber
zuerst als selbständige Bilder auf. Von allen Werken seiner Hand lehnen sich gerade diese Gemälde am
engsten an die Antike an. Sie behandeln zwar nur zum Teil antike Gegenstände, doch nähern sich die
hier gewählten alttestamentarischen Darstellungen durch die ihnen untergelegte und allgemein ver-
standene allegorische Bedeutung dem Sinne ebenso wie den Formen nach der Antike. Der Gegensatz,
in dem diese Werke hierin zu den früheren des Meisters stehen, ist sehr lehrreich und sollte doch wohl
nicht unbeachtet gelassen werden, wenn man sich über die wechselnde Stellung des Künstlers zur
Antike Klarheit verschaffen will.

Die unseren Bildern eigentümliche Verbindung des dekorativen Illusionismus mit der skulpturalen
und klassizistischen Tendenz der Formengebung, die für Mantegnas späten Stil charakteristisch ist, legt
die Vermutung nahe, daß diese Gattung von dekorativen Gemälden seiner Erfindung ihren Ursprung
verdanke. In der Tat sind ältere Bilder dieser Art, so viel ich weiß, nicht bekannt. Wohl hat man auch
früher Tafelgemälde in Helldunkel, d. h. in verschiedenen Abstufungen derselben Farbe, ausgeführt,
ebenso wie Fresken in grüner und grauer Farbe; auch Nachahmungen von Rundplastik, wie die beiden
Reiterbilder im Dom zu Florenz, oder von Reliefs, wie z. B. im Fries unter den Darstellungen in Giottos
Capella dell' Arena zu Padua, sind nicht selten; gemalte Steinfiguren schmücken häufig die Außen-
seiten niederländischer Altäre, z. B. des Genter Altars, und auch Gentile da Fabriano hat, nach Facius,1
über seinem Gemälde mit der Johannesdarstellung im Lateran fünf Propheten in Marmornachahmung
angebracht. Die Bilder unserer Gruppe unterscheiden sich aber, abgesehen von der Eigenart ihrer male-
rischen Ausführung, von jenen Werken wesentlich dadurch, daß sie als Einzelstücke in entsprechender
Umgebung Reliefs in Marmor oder Bronze wirklich vortäuschen sollten und konnten und daß sie als
selbständige Kunstwerke und zugleich als Schmuckstücke in privaten Innenräumen Verwendung zu
finden bestimmt waren. Sie können also als eine eigene, neue Gattung von Gemälden angesehen werden.

Ein Bild auf Leinwand von Domenico Veneziano (gestorben 1461), das im Inventar der Medici
von 1492 2 beschrieben wird als: «un panno dipintovi una fighura a sedere in uno tabernacolo mezza
nuda con un teschio in mano, di mano di maestro Domenico da Venezia colorita a olio, contraffatta a
marmo», könnte allein vielleicht als ein Vorläufer der Mantegnaschen Dekorationsstücke angeführt
werden, wenn es sich nicht auch hier vielmehr, wie das «tabernacolo» es wahrscheinlich macht, um die
Nachahmung einer Marmorstatue in größeren Dimensionen gehandelt hat. Jedenfalls ist diese Beschrei-
bung bemerkenswert, weil sie uns von der Verwendung einer gemalten Marmornachahmung zum
Schmuck eines profanen Raumes Nachricht gibt. Mag nun aber Mantegna der Erfinder dieser Gattung

1 De viris illustribus. S. Anonimo Morelliano (ed. Frizzoni), p. 149.

2 Müntz, Les Collections des Medicis, Paris 1888, p. 84.
 
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