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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 30.1911-1912

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I. Teil: Abhandlungen
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Kristeller, Paul: Zwei dekorative Gemälde Mantegnas in der Wiener kaiserlichen Galerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.6177#0054
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Paul Kristeller.

von Reliefs nachahmenden Gemälden gewesen sein oder hierin Vorgänger gehabt haben, jedenfalls kann
nur seine Kunst ihnen diese eigenartige charakteristische Form gegeben haben.

Abmessungen, Gegenstand, Formgebung und Farbe unserer Bilder sind offenbar durch die Rück-
sicht auf die Umgebung, der sie als Zierde dienen sollten, bestimmt worden. Man braucht durchaus
nicht anzunehmen, daß sie im eigentlichen Sinne einen Ersatz für wirkliche Reliefs aus Stein oder Bronze
bilden sollten und lediglich aus äußeren Gründen, etwa wegen ihrer größeren Billigkeit, gewählt worden
seien. Mantegnas Gemälde waren, wie wir seine Preise kennen, gewiß nicht weniger kostspielig und
nach dem, was wir hierüber wissen, sicher nicht leichter erhältlich als dekorative Arbeiten der zahl-
reichen damals tätigen Bildhauer und Gießer. Man kann diesen Gemälden sehr wohl aus ästhetischen,
stilistischen und statischen Rücksichten den Vorzug vor Reliefs aus echtem Material gegeben haben,
nicht nur, weil sie leichter an Gewicht und deshalb verwendbarer und beweglicher waren, sondern wohl
auch, weil sie als Dekoration leichter wirkten und ihre Farben sich mannigfaltiger und reizvoller variie-
ren und besser nach den Gegenständen der Umgebung und dem Lichte des Raumes abstimmen ließen.

Man wird aber auch an der täuschenden Nachahmung selber eine Freude gehabt haben. Die Vir-
tuosität der Feinmaler in der getreuen Wiedergabe der Stoffe wie der lebenden Natur wurde auch da-
mals hoch und freudig geschätzt. Das beweist die Vorliebe für niederländische Gemälde diesen Charakters
und die zahllosen, fast typischen Urteile Vasaris und anderer zeitgenössischer Schriftsteller. So erzählt
z. B. Vasari (IV, p. 593 f.) mit besonderem Vergnügen, wie Tizian nur schwer zu überzeugen gewesen
sei, daß die Reliefs nachahmenden Figuren Peruzzis an der Decke eines Saales der Farnesina wirklich
gemalt waren. Das zeigt jedenfalls, daß man, auch unter Künstlern, solchen gelungenen Augen-
täuschungen Wert beimaß. In den Fresken Mantegnas in der päpstlichen Kapelle des Vatikan wurde
besonders die miniaturartig feine, täuschende Darstellung von Gegenständen in geöffnet scheinenden
Schränken und auf gemalten Fensterbrüstungen und Tischen in der Sakristei bewundert. Auch in seinen
Caesarenbildern an der Decke der Camera degli sposi in Mantua wird er sich auf die überzeugende
Wirkung der Köpfe und Dekorationen als Skulpturen gewiß viel zugute getan haben.

In unseren Bildern sollten offenbar silhouettirte, ge wissermaßen äjour gearbeitete und auf Marmorgrund
geheftete Bronzereliefs nachgeahmt werden, mit den anderen der Eindruck von Kameen in vergrößertem
Maßstabe hervorgebracht werden.1 In beiden Fällen handelte es sich nicht um die Nachahmung be-
stimmter Arten von plastischen Werken sondern nur im allgemeinen um die Vortäuschung eines plastischen
Materials und plastischer Kunstformen. Im Prinzip lassen sich unsere Bilder auch den Nachahmungen
von Mosaik in einzelnen Fresken an die Seite stellen oder den intarsierten Verzierungen von Chorstühlen
und Sakristeischränken, in denen häufig durch die hierzu besonders geeigneten Mittel dieser Technik die
Illusion hervorgerufen werden sollte, als ob die dargestellten Gegenstände wirklich am Platze dalägen.

Erst seit dem XV. Jahrhundert scheint die Malerei in Italien zur Ausschmückung privater Räum-
lichkeiten in ausgedehnterem Maße herangezogen worden zu sein. Der sich steigernde und ausbreitende
Luxus der Lebenshaltung und die wachsende Neigung zum intimen Studium in behaglicher, schmuck-
reicher Umgebung mußte den Wunsch nach künstlerischer Ausstattung der Gemächer rege werden
lassen. Die Entwickelung des Kunstverständnisses und die Freude am Besitz, die Wurzeln des modernen
Kunstsammelns, wirken mit jener Neigung zum intimen, verfeinerten Lebensgenüsse zusammen. Die
Freskomalerei des Trecento und des früheren Quattrocento war auf die Kirche und die öffentlichen oder
fürstlichen Prunkräume, Treppenhäuser u. dgl. beschränkt. Wenn sie auch öfters auf vornehme
Wohnräume selbst intimen Charakters (wie das Badezimmer des Kardinals Bibiena) ausgedehnt wird,
so bleibt ihre Verwendung doch im wesentlichen eine exzeptionelle Kostbarkeit. Sie erforderte aber
auch vor allem eine einheitliche Dekoration des ganzen Raumes, der in ihrer Monumentalität immer
etwas Starres, Unbewegliches anhaften mußte. Der lebhaftere Geist der Renaissance verlangte offenbar

1 Es mag hierbei daran erinnert werden, daß die Franzosen die farbigen Helldunkelholzschnitte, die durch Ugo da
Carpi (um 1516) in Italien aufkamen, «camaieux» (Kameen) nannten. Wenn diese Drucke auch eigentlich Nachahmungen von
getuschten Zeichnungen waren, so hatten sie in der Tat doch eine gewisse Ähnlichkeit mit der hell auf dunklem Grunde
geschnittenen Kamee und sollten gewiß auch in ähnlicher Weise wie unsere Bilder dekorative Verwendung finden.
 
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