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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

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Giehlow, Karl; Weixlgärtner, Arpad: Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance: besonders der Ehrenpforte Kaisers Maximilian I. Ein Versuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0117
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Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance.

I I I

Gästen Leonico Leoniceno und Leonico Tomeo, die ihn inmitten seiner Schüler aufgesucht hatten,
um sich über hieroglyphische Fragen zu unterrichten. Seinem Neffen, Pierio Valeriano, der während
seines Aufenthaltes zu Venedig im Spätherbst 1522 als eifriger Zuhörer das Gespräch festhielt und
später ausgearbeitet seinem Onkel zur Durchsicht zuschickte, ist es zu danken, dass man noch heute
die humanistischen Aegyptologen belauschen kann.

Wenn auch Valeriano bei Aufnahme dieser Disputation in seine »Hieroglyphica« die von seinem
Onkel erbetenen Verbesserungen eingefügt und den Gesprächsstoff der Anlage seines Werkes ent-
sprechend auf die Hieroglyphen des Auges und anderer Theile des menschlichen Kopfes beschränkt
haben wird, gibt seine Schilderung doch noch soviel Actuelles und momentan Beobachtetes, dass das
Gespräch den anschaulichsten Einblick in die Art gewährt, wie die venezianischen Gelehrten bei ihren
Disputationen hieroglyphische Fragen zu behandeln pflegten.

Alle Ansichten über die Hieroglyphen kommen darin zum Ausdruck, welche die Humanisten seit
der allgemeinen Verbreitung des Horapollon und der Hypnerotomachie bewegten; alle Zweifel deuten
sich an, aber auch die Hoffnung ist nicht versiegt. Bedenkt man, dass in dem Hörsaal Fra Urbanos
sich auch Künstler wie Tizian eingefunden haben werden, so lässt sich die Tragweite solcher die
bildnerische Darstellung der Hieroglyphen stets berücksichtigenden Auseinandersetzungen wohl er-
messen.1

Anlass zu dem Besuche hatten dem Rinieri und seinen Gästen Proben von hieroglyphischen
Schriftzeichen gegeben, die Pietro Bembo an den ihm befreundeten Senator diesmal aus Rom ge-
schickt hatte. Es waren Copien von Hieroglyphen der Obelisken und der Isischen Tafel.2 Mit Hilfe
des Horapollon hatte man sich bei Rinieri vergeblich bemüht, ihren Sinn zu erklären, bis der Gedanke,
Fra Urbano um Rath zu fragen, als einziger Ausweg erschien. Gab dieser zunächst der oben wieder-
gegebenen skeptischen Auffassung Raum, so willfahrte er doch schliesslich dem Wunsche, im Anschluss
an eine eben erläuterte Stelle des Pindar alles das mitzutheilen, was ihm an Deutungen der ein Auge
darstellenden Hieroglyphen bekannt geworden war. Man sieht, trotz seiner Zweifel hielt Fra Urbano
doch seine Forschungen keineswegs für ganz nutzlos.

Auf Grund der Methode, den angeblich ägyptischen Gehalt der ihnen bekannt gewordenen Sym-
bolik zur Deutung zu verwerthen, tragen die Theilnehmer des Gespräches einen überreichen Stoff von
Sinnbildern, in denen das Auge und die anderen behandelten Hieroglyphen eine Rolle spielen, eifrig
zusammen. Ausgangspunkt bilden aber die direct auf die Aegypter Bezug habenden Nachrichten und
die wirklichen Hieroglyphen, denen sich die von Colonna beschriebenen zugesellen.

In der Art, wie Pierio die Rollen vertheilt hat, zieht Rinieri die kürzlich — 1518 — in Venedig
erschienenen Oneirokriten des Daldianers Artemidorus heran, die thatsächlich viel Aegyptisches in
ihren Traumdeutungen enthalten, nimmt Leonico Tomeo seine Zuflucht zu der griechischen und rö-
mischen Literatur, hebt daraus Leonico besonders die naturwissenschaftlichen Schriften hervor und
holt Fra Urbano die meisten seiner hieroglyphischen Deutungen aus der Bildersprache der heiligen

1 Das mehrerwähnte Gespräch des Urbano bildet in der »Hieroglyphica« des Pierio Valeriano den XXXIII. Commentar
»de iis, quae per oaüum, aures, nasum, os et in eo partes significantur ex sacris Aegyptiorum literis«, p. 233 ff. Die Unter-
haltung datirt sich aus der Bemerkung am Schluss über den Abschied der Theilnehmer des Gesprächs. Da heisst es p. 241:
»die prius constituto, quo iterum essent conventuri, Uli domum, ego in navim abii, mox Florentiam, quo fueram, ut scis
per Julii Card, domini mei literas accersitus«. Pierio war damals Secretär des künftigen Papstes Clemens VII., der seit 1519
bis 1523 Leiter der Florentinischen Republik war und befand sich seit 1519 grösstentheils in Florenz. Im Jahre 1522 unter-
nahm er eine Reise nach seiner Heimatstadt Belluno, wo er die Alterthümer dieser Stadt beschrieb. Auf der Rückkehr im
September kam er nach Venedig, im December war er bereits wieder am Hofe des Cardinais; vgl. Ticozzi, a. a. O., p. 118.
Nach eben diesem Biographen Valerianos war Tizian ein Freund des Fra Urbano, der ihn mehrmals porträtirte, »talche ancor
vivo e vero si vide sino alle fine dal decorso secolo (also XVIII. Jahrhundert) ncl vilaggio di Castione.« Vielleicht lässt sich
einmal feststellen, inwieweit dies eine der üblichen Porträtfabeln oder Wahrheit ist. Vgl. Ticozzi, p. 58.

- Da Bembo seit 1521 sich in Padua befand, muss die Zusendung aus Rom weiter zurückliegen. Sie erfolgte wohl,
als die Isische Tafel aufgefunden wurde, vermuthlich zur Zeit der Ausgrabung der Nilstatue. Ueber die Copien der Hiero-
glyphen heisst es nach der Schilderung des »exemplum« der Isischen Tafel: »obeliscorum etiam plurimas notas, quae illic
(Romae) reperiuntur, quas quia ex Aegypto olim advectas manifestum est«. Vgl. oben, S. 99.
 
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