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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

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Kenczler, Hugo: Zwei Altarflügel aus der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts in der kaiserlichen Gemäldegalerie zu Wien und im Rákóczi-Museum zu Kaschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0285
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Zwei Altarflügel aus der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts in der kaiserlichen Gemäldegalerie etc.

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und daß im XVI. Jahrhundert der Protestantismus in Oberungarn eine so rapide und riesenhafte
Ausdehnung fand und daß trotz der lebhaften Bemühungen der Gegenreformation ein Teil der Be-
völkerung noch bis heute protestantisch geblieben ist, das hat meines Erachtens gerade in dieser
so gründlichen Vorbereitung des Bodens für die Umwandlung des kirchlichen Denkens einen wich-
tigen, wenn auch nicht allein hinreichenden Erklärungsgrund.

In Kaschau nahmen in dieser Zeit die Beziehungen zu Böhmen sehr zu, man baute gute
Handelswege und schloß Handelsverträge. Die lebhafteste Handelsbeziehung war die mit Breslau;
1405 hatten die Kaschauer den ersten Handelsvertrag geschlossen, der 14 Jahre später erweitert und
befestigt wurde. Breslau stand zu jener Zeit ebenfalls unter böhmischem Einflüsse und die böhmi-
schen Kulturelemente waren namentlich seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts auch da sehr ver-
breitet, die böhmische Kunstübung nicht weniger. Gerade aus dieser Breslauer Quelle dürfte unser
Kaschauer Meister geschöpft haben. Daß Breslau und Oberungarn und namentlich auch Kaschau
in der Goldschmiedekunst gegenseitig aufeinander einwirkten, ist eine bekannte Tatsache; daß die-
selbe Beziehung auch auf anderen Kunstgebieten möglich ist, ist selbstverständlich. Es läßt sich
übrigens für unseren Altar ein direkter Zusammenhang mit der Breslauer Kunst aufweisen. Wir
haben in der Beschreibung der hl. Sippschaft auf den prächtigen Kopf des links unten sitzenden
Gatten der Maria Kleophas hingewiesen; ein äußerst ähnlicher Kopf kommt in dem Barbara-Altar aus
dem Jahre 1447 im schlesischen Altertumsmuseum zu Breslau vor. Im zweiten rechten Innenflügel
links oben in der Grablegung Christi (Fig. 8) ist ein Greis dargestellt, der den toten Herrn unter den
Armen faßt; er sieht wie ein älterer Bruder unseres lesenden Mannes aus. Eine derartige Ähnlich-
keit kann kaum zufällig sein, und wenn man an der Hand eines reicheren Materials dieser Frage
näher treten würde, dürften sich noch nähere Beziehungen ergeben. In Ungarn haben sich eine
ganze Reihe von illuminierten Büchern erhalten, die, einmal untersucht, sicherlich zur Lösung dieses
Problems führen werden. Momentan fehlt jede Vorarbeit. Interessant ist es aber, daß sich gerade
im Breslauer Barbara-Altar zwei andere Köpfe finden, die auf Gemälden in Böhmen wiederkehren.
Der eine Kopf gehört dem schlafenden Soldaten in der Auferstehung Christi (Fig. 9) rechts oben auf
dem schon genannten Flügel an. Sein Gegenstück, ein Mann mit ganz ähnlichem Kopfe, kniet in der
Mitte der ersten Reihe in der Anbetung des Lammes in der Nischenwölbung des Westfensters der Karl-
steiner Kreuzkapelle.1 Im Hauptbilde des Barbara-Altares steht rechts von der Heiligen der hl. Veit
(Fig. 10); wie dessen Bruder mutet der Mann an, der unten auf dem rechten Innenflügel des Kreuzi-
gungsalters2 in Krumau hinter Salome steht, die das abgeschnittene Haupt des Täufers dem Herodes
präsentiert. Alle diese Beziehungen und noch viele andere bedürften einer systematischen Erfor-
schung und Bearbeitung. Einiges ist ja in Breslau bereits dafür geschehen, aber man ist auch da
noch nicht über die Anfänge und Vorbereitungen hinausgekommen.

Für eine Geschichte der oberungarischen Malerei und Holzschnitzerei ist die Kenntnis dieser
Beziehungen von eminenter Wichtigkeit. Oberungarn besitzt eine an Zahl und Qualität reiche
Gruppe von Denkmälern, die noch der wissenschaftlichen Bearbeitung harren. Dieses Land zwischen
Böhmen und Polen ist in der kunstgeschichtlichen Literatur fast ganz außer acht gelassen worden,
was um so weniger richtig ist, als dieses Gebiet sowohl mit dem Osten als auch mit dem Westen in
einem sehr lebhaften und ausgebreiteten Verkehr stand. Die Stossfrage und einzelne Fragen der Nürn-
berger Kunstgeschichte — man denke an die bis jetzt noch ungelöste Pleidenwurfffrage — werden
kaum richtig gelöst werden können, solange nicht dieses ganze zusammenhängende Gebiet von
Nürnberg über Schlesien, Böhmen, Oberungarn bis Polen mit Rücksicht auf ihre gegenseitigen
Wechselwirkungen genau durchforscht ist.

Diesem Kunstgebiete und einer früheren Periode (um 1435), in der Einwirkungen aus Böhmen
immer breiteren Raum gewannen, gehört unser Altar an. Er ist wahrscheinlich in Kaschau selbst

1 Neuwirth, Wandgemälde und Tafelbilder in Karlstein, Taf. XLV.

2 R. Ernst, Taf. XLIII.

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