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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

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Winkler, Friedrich: Studien zur Geschichte der niederländischen Miniaturmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0320
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3o8

Friedrich Winkler.

bildet er auch die Pferde und Architekturen breit und massig, jedwede Detailzeichnung fehlt
(Taf. XVII). Aller Zierat ist derb und großflächig. Nur die hauptsächlichsten Rundungen der
Gebäude werden wiedergegeben. In der Darstellung der Landschaft ist der Meister in Anbetracht
der Entstehungszeit der Handschrift sehr rückständig. Der in Windungen in die Tiefe führende
Fluß geht in Wirklichkeit steil nach dem oberen Bildrande zu, die Menschen sind riesengroß oder
übermäßig klein im Verhältnis zu ihrer landschaftlichen Umgebung (Taf. XV). Für die Bäume
hat der Künstler eine einzige typische Form (Taf. XV und XVII). Ob ein einzelner Stamm oder
eine Baumgruppe gegeben wird, immer hat die Krone die Form einer Pyramide, die aus einzelnen

flockenartigen Teilen zusammengesetzt ist. Der Schatten findet
sich unterschiedslos längs der Basisseite der Baumkronenpyramide.
Auf den Wiesen fallen eigentümliche Grasbüschel auf, die nach
Art eines Reiherstutzes geformt sind. Am Himmel, der am oberen
Rande tiefblau ist, stehen oft gleichmäßig über das Blau verteilte
Sternchen. Die Zeichnung der Grasbüschel und die Verteilung
der Sterne wie das starke Grün des Inkarnattones kehren in allen
Werken des Künstlers stereotyp wieder und machen die Zu-
weisung der einzelnen Handschriften unumstößlich sicher. Die
Charakteristik des Meisters würde unvollkommen sein, wollte
man auf diese offensichtlichen Schwächen seiner Kunst allein hin-
weisen. Die eigentümlichsten und bisweilen überraschend zarten
Farbennuancen machen den Vorzug des Meisters aus. So hat er
ein eigentümliches, bald schweres, bald duftiges Blau, ein helles
Weinrot mit zarten Goldmustern. Die Gewänder sind fast ohne
alle Schatten modelliert, die Plastik seiner Figuren ist infolge-
dessen nicht groß. Die Gewanddrapierung ist sehr klar und bei
einer Rückenfigur wie der Dame auf fol. i3 (Taf. XV) selbst von
leiser Eleganz. Die Sorgfalt in der Ausführung, die Vertriebenheit
der Modellierung erinnern an die Praxis der Tafelmaler und sind
sonst kaum noch in der Miniaturmalerei um 1450 nachzuweisen.

Zwei Werke des gleichen Künstlers sind der Gilles de Rome
«Du Gouvernement des Princes» 1 und der «Gottesstaat» des hl.
Augustinus in Brüssel (königl. Bibliothek, Nr. 9043 und 9015/16).
Der Gilles de Rome wurde wie die Wiener Handschrift für Phi-
lipp den Guten geschaffen, entstand aber, wie aus dem Text hervorgeht, schon um 1450/51. Eine
einzige Miniatur, die Überreichung der Handschrift an den Herzog, ist als Titelblatt beigefügt
(Fig. 22). Sie ist in der Komposition den bekannten Dedikationsbildern der Chronik von Henne-
gau, des Gerard de Roussillon usw. auf das engste verwandt. Eine Zeichnung, die auf der Auktion
der Sammlung des Marquis Valory bei Drouot vorkam (Fig. 23), gehört ebenfalls in diesen Kreis.
Sie dürfte dem Meister der Privilegien von Flandern zuzuschreiben sein.

Die Augustinushandschrift, die aus zwei Foliobänden besteht, hat nur im zweiten Bande
(Nr. 9016)2 Werke unseres Meisters. Er führte die Miniaturen auf fol. 32', i63 (Fig. 24) bis 467
aus; fol. 58—116' desselben Bandes wurde von einem anderen unbedeutenden Künstler gearbeitet.3

Fig. 23. Zeichnung aus der Sammlun
des Marquis Valory.

1 Übersetzt von J. Waucquelin. — Barrois, a. a. 0., Nr. 926 (Inventar von 1467) und Nr. 1639 (Inventar von 1487).

2 A. de Laborde, Les manuscrits a peintures de la Cite de Dieu (Societe des Bibliophiles franeois). — J. van den
Gheyn, Catalogue de Manuscrits de la Bibliotheque royale de Belgique II, Nr. 1155.

J Alles übrige schuf der Meister des Titelblattes des ersten Bandes. Dieser interessante Künstler ist wohl identisch
mit dem jüngsten Meister der «Heures de Turin». Die Landschaften der letzten Miniaturgruppe der berühmten Handschrift
sind dem Titelblatt des ersten Bandes hier ganz außerordentlich ähnlich. Die auf das Titelblatt folgenden Miniaturen sind
kleiner und flüchtiger ausgeführt, doch stehen sie in bezug auf die Raumdarstellung auf der gleichen hohen Stufe wie das
Titelblatt und die für den Meister in Betracht kommenden Bilder der «Heures de Turin».
 
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