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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

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Winkler, Friedrich: Studien zur Geschichte der niederländischen Miniaturmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0321
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Studien zur Geschichte der niederländischen Miniaturmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts.

sog

Nach der Inschrift auf fol. 449' wurde die Handschrift für Jean Chevrot, Bischof von Tournai,
geschaffen, der auch den Sakramentsaltar des Rogier van der Weyden gestiftet hatte. Nicolas
Cotin war der Schreiber. Da dieser Augustinus schon 1467 im Bücherinventar Philipps nachweis-
bar ist,1 ist er vermutlich von Chevrot, der genau wußte, wie er sich Philipps Geneigtheit zu er-
halten hatte, in der Absicht bestellt worden, ihn dem Herzoge zu schenken. Die geradezu identi-
sche Zeichnung der Bäume, der tiefblaue Him-
mel mit seinen Sternen und anderes machen
die Urheberschaft des Meisters der Privilegien
von Flandern gewiß.

Das Titelblatt einer französischen Über-
setzung des Valerius Maximus (Paris, National-
bibliothek, Ms. fr. 6185, Fol. 1: Fig. 25),2 die, wie
Wappen und Devise ergeben, auch für Philipp
den Guten gearbeitet wurde, und ein Einzel-
blatt mit dem hl. Martin im Musee dAnsem-
bourg zu Lüttich (Fig. 26) sind die letzten
mir bekannten Werke des Meisters der Privi-
legien.3

Ich zweifle nicht, daß eine systematische
Durchsicht aller für Philipp geschaffenen Hand-
schriften mit Miniaturen weitere Werke unseres
Künstlers zutage fördern wird, eine Aufgabe
freilich, die bei dem umfangreichen, weithin-
versprengten Materiale viel Zeit und Geduld
erfordert.

Die Hinweise, die uns die genannten Werke
verschaffen, können nicht spärlich genannt wer-
den. Der Künstler ist darnach frühestens 1445
tätig gewesen (Augustinus, Brüssel), aus der
Zeit nach 1467 kennen wir keine Handschrift,
die sich dem Künstler zuweisen ließe. Die
bisher späteste Handschrift, die Privilegien von
Flandern und Gent, wird wahrscheinlich sogar
bald nach 1454 entstanden sein: sie scheint
ihre Entstehung überhaupt erst den Ereignissen
der Jahre 1453 und 1454 zu verdanken.

Für die Lokalisierung des Künstlers haben
wir wenige Anhaltspunkte. Wichtig scheinen

hier besonders die Privilegien von Flandern und Gent zu sein. Es braucht kein in Gent ansässiger
Künstler zu sein, der mit diesem Auftrage bedacht wurde.4 Nach dem Stil der Bilder wie der Art
des Auftrages möchte man aber mit Bestimmtheit einen flandrischen Meister annehmen. Auch

Fig. 24. Brüssel, königl. Bibliothek, Cod. 9016, Fol. i63.

1 Barrois, a. a. O., Nr. 72G/27 (Inventar von 1467), Nr. 1511/12 (im Inventar desselben Jahres nochmals unter «Chro-
niques de France), Nr. 1626, 1643 (Inventar von 1487).

2 Barrois, a. a. O., Nr. 876 (Inventar von 1467), Nr. 1637 (Inventar von 1487).

3 Die Attribution des Pariser Blattes findet sich schon bei M. H. Bernath, Studien über die Miniaturhandschriften der
Leipziger Stadtbibliothek (Freiburger [Schweiz] Dissertation 1912), S. 28, geht aber auf einen Hinweis von mir zurück.

4 Die Miniatur mit den Genter Bürgern nach der Niederlage bei Gavre (Taf. XVII) hat im Hintergrunde anscheinend
eine Ansicht von Gent. Der größte Turm mit vier kleinen an den Ecken (St. Nicolas?) kommt gleich auf einem Buchdrucker-
signet des Genter Humanisten Robert de Keysere vor (Abb. bei V. van der Haeghen, L'Humaniste-Imprimeur Robert de Keysere
et sa sceur Clara, la Miniaturiste . . . Gand 1908).
 
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