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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0093
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Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

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Grabmal des Kardinals De Braye erscheinen sie bewegt, heben den Vorhang und betrachten den
Toten; an jenem Karls von Calabrien zu Neapel sind es zwei ruhige geflügelte Gestalten, die eine
dem Toten, die andere dem Beschauer zugewendet; in Treviso tragen sie auf ihren Schultern den
Vorhang, sie heben ihn nicht. Stilistisch betrachtet sind diese zwei Engelsgestalten bereits weit von
der Kunst Arnolfos entfernt. Die pisanische Grundlage ist aber leicht an der Sparsamkeit des
Faltenwurfes, der an vielen Stellen durch große Flächen ersetzt ist, zu erkennen.

Aus der Betrachtung des Paradebettes allein dürfte die Entscheidung, ob das Grabmal des
Castellano das Werk eines fremden, toskanisch-sienesischen oder das eines venezianischen Bild-
hauers ist, schwer zu treffen sein.
Eine Untersuchung der Figuren am
Sargkasten wird aber diese Frage
ihrer Lösung näher rücken. Was
die Anordnung der drei Figuren,
die an der Vorder wand des Sar-
kophags angebracht sind, — der
Verkündigungsszene und des segnen-
den Bischofs — betrifft, so ist schon
durch den Vergleich mit dem Grab-
mal des Soranzo im Baptisterium
von S. Marco erwiesen worden, daß
diese dreiteilige Gliederung in den
venezianischen Ländern etwas Übli-
ches ist. Betrachten wir die einzel-
nen Figuren, vor allen den Bischof,
so werden wir an dieser Gestalt Ele-
mente finden, denen wir in der ein-
heimisch - venezianischen Skulptur

des frühen TrecentO bereits begeg- Fig. 53. Rekonstruktion des Grabmals des B. Odorico da Pordenone.

net sind. Der segnende Bischof hat

in dem hl. Donatus von Murano einen Vorläufer. In einem größeren Zusammenhang steht er aber
mit den Figuren des Beato Enrico-Grabmals oder mit den Eckfiguren der Area Soranzo. Obwohl
der toskanische Einfluß auch diese Figuren umgewertet hat, haften an ihnen noch immer Spuren
der venezianisch-einheimischen Kunst, die die Annahme eines venezianischen Bildhauers recht-
fertigen, und zwar eines Künstlers, der den toskanisch-sienesischen Einfluß noch nicht überwun-
den oder assimiliert sondern ihn unter Beibehaltung verhältnismäßig weniger Stilmerkmale der ein-
heimischen Kunst, sei es durch seine Anwesenheit in der Toskana, sei es durch Vermittlung von
Bildhauern dieses Landes, im großen und ganzen rein akzeptiert hat. Trotz der an den Figuren
der Sarkophagvorderwand angedeuteten Residuen venezianischer Kunst stehen auch diese unter dem
Einflüsse der Toskana.1

Eine Verkündigungsgruppe in den Estensischen Sammlungen (Taf. XI) ist, wenn
auch zeitlich etwas vorgerückter, jedoch stilistisch jener am trevisanischen Grabmal ähnlich.
Es handelt sich um zwei Fragmente, — die Madonna und den Engel — die aber demselben
Sarkophag angehörten, was stilistisch leicht festzustellen ist.2 Überdies kehrt auf beiden Stücken

1 Vgl. die Verkündigungsmadonna mit jener am rechten Ambo in Benevent oder mit dem hl. Petrus daselbst auf die
Behandlung der Falten an den Gewändern und jene der Gesichter hin. — Die Ambonen der Kathedrale von Benevent sind, wie
Venturi, a.a.O. IV, p. 252, meiner Ansicht nach richtig erkannt hat, im Jahre 1311 von einem sienesischen Bildhauer,
Nicolo da Montefonte errichtet worden.

2 892 E 107, Verkündigungsmadonna, weißer istrianischer Marmor, 69 X 25 cm- Leichte Spuren einer alten Vergoldung
am Nimbus und an den Schuhen. Einige Bohrlöcher in den Falten des Kopftuches. — Im Typus erinnernd an die Figuren
des Beato Enrico-Sarkophags.
 
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