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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0130
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I 22

Leo Planiscig.

wird wiederum der venezianische Stadtboden sein, auf dem sie, verquickt, Neues und Altes in
eine neue Formel gebracht, auftreten werden. Bei der Besprechung des Grabmals des Dogen An-
drea Dandolo wird an das hier Gesagte angeknüpft werden.

Stilistisch verwandt mit dem Johannes-Relief in S. Simeone grande zu Venedig (Taf. XII), das
dem Kunstkreise des Filippo de Sanctis angehört, ist ein Relief mit gleicher Darstellung aus dem
Jahre 1346 im Museo Civico zu Treviso (Fig. 83). Unter einem dreilappigen, von zwei ge-
wundenen Säulen getragenen Bogen steht die Figur des hl. Johannes d. T., den Kreuzstab in der
Rechten, in der Linken ein Buch haltend. Die ernsten Gesichtszüge, die breite Nase, die Falten
der Stirn, die welligen Locken des Bartes erinnern an die vorher erwähnte Figur von S. Simeone
in Venedig. Die gescheitelten, in strähnenartigen Locken fließenden Haare kommen auch an man-
chen Figuren des Vicentiner Portales vor. Das Relief ist also ein, der Datierung nach zu schließen,
zeitlich gerechtfertigtes Produkt venezianischer Bildhauerkunst, in dem aber, gegenüber den Neuerun-
gen der vierziger Jahre, noch stark der fremde Einschlag zutage tritt. Anders die Gewandbehand-
lung. Dieser hl. Johannes zeigt nicht die weichen Falten etwa der Johannes-Figur in S. Simeone,
sondern nähert sich in dieser Hinsicht mehr jener des hl. Markus vom Gradenigo-Sarkophag: viele
nebeneinanderlaufende gerade Falten, ein Teil davon schräg über den Körper gestellt, etwas hart
in der Ausführung. Nur die Biegung am Fuße haben die zwei ersten Figuren gemeinsam.

An und für sich hätte der trevisanische Johannes entwicklungsgeschichtlich keine große Be-
deutung; er könnte höchstens beweisen, wie eng zwei Richtungen gleichzeitig miteinander gehen
und wie fest sich noch ältere Elemente an neue anschmiegen. Auffallend ähnliche Charakterzüge
verbinden ihn aber mit einigen Figuren des Jacopo-Carrara-Grabmals. Der hl. Petrus und der
hl. Johannes in den oberen Nischen der Lisenen sind mit ihm stilistisch verwandt (Kopf des
Johannes in Padua; Gewandbehandlung Petri: dieselben engen, parallelen schrägen Falten). Auch
die Gewandfalten des Verkündigungsengels und die Annunziata zeigen dieselben Merkmale;
die Köpfe dieser zwei Figuren hingegen nähern sich denen zweier Relieffiguren gleichen Sujets
in den Estensischen Sammlungen (Taf. XI), die im Zusammenhang mit dem Grabmal des
Castellano Erwähnung gefunden haben. Die gleichgestellten Nischenfiguren des Ubertino-Grab-
males sind andererseits mit den Skulpturen am St. Lorenzo-Portal von Vicenza verwandt. Die
an beiden paduanischen Monumenten in vier Tondi angebrachten betenden Halbfiguren von
Engeln bieten Vergleichungspunkte mit den Verkündigungsfiguren des Castellano-Grabmals
und mit der stilistisch dazugehörigen Gruppe der Estensischen Sammlungen. Die vier Rosetten
die oberhalb einer jeden Lisenennische angebracht sind; haben ihre Vorläufer im gleichen Ornament-
motiv am Sockel des Portals von S. Lorenzo.

Ein Teil der Skulpturen der Carrara-Gräber steht somit in direkter Verbindung mit den vor-
hergegangenen Entwicklungsphasen der venezianischen Skulptur: zum Teile knüpfen sie an die Neue-
rungen der vierziger Jahre an, zum Teile halten sie aber an den toskanischen Überlieferungen
fest. Im Gegensatz zu diesen Figuren beider Nischenbogen zeigen jene der auf den Sarkophagen
ruhenden Verstorbenen in ihrem Stil den Einfluß einer späteren Phase der toskanischen oder einer
mit dieser eng verwandten Skulptur; nicht jene Welle, die das Castellano- oder das Odorico-Grab-
mal erzeugt hat, bedingt ihr Entstehen.

Nach eingehender Analyse der Area des S. Pietro Martire in Sant' Eustorgio zu Mailand hat
Meyer1 zur Charakteristik ihres Schöpfers Giovanni di Balduccio aus Pisa bemerkt, daß die
Worte «aus Pisa» nur als eine Bezeichnung der Stätte aufzufassen seien, an der er die Technik
seiner Kunst erlernte. Von Nicolö und Giovanni soll er diese ererbt haben; mit Andrea und mit
Nino verbinde ihn nur ein allgemeiner Schulzusammenhang. Sein Kunstcharakter stelle ihn den
Sienesen nahe; sein Stil im engeren Sinne bleibe individuell. — Darnach wurde auch in der
Lombardei die Kunst der Pisani in der sienesischen Verallgemeinerung importiert. Die lang-

1 A. G. Meyer, Lombardische Denkmäler, a. a. O.
 
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