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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Randglossen zu Venedigs Bronzeplastik der Hochrenaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0025
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Randglossen zu Venedigs Bronzeplastik der Hochrenaissance.

Gestalt eines nackten, aufrechtstehenden Greises, der sich mit beiden Händen auf einen (jetzt
fehlenden) Stab gestützt hatte (Taf. III).1 Bode2 hielt diese Figur für das Werk eines Florentiner
Nachfolgers Michelangelos, Schlosser3 erkannte ihren venezianischen Ursprung und versetzte sie in
die Richtung des Alessandro Vittoria, ihre Ähnlichkeit mit dessen Hieronymus in der Frari-Kirche
hervorhebend. Diese Ähnlichkeit ist, wie hier des öfteren betont wurde, eine Folge des von San-
sovino geschaffenen Urtypus. Die Figur ist aber so eng mit unserem Paulus verwandt (man

betrachte die Struktur des
Kopfes, der Stirne und der
Bartfasern), daß auch ihr
der Name Tiziano Minio
ohne Zögern verliehen wer-
den kann. Ein Vergleich
mit dem liegenden Flußgott
auf dem Venetia-Relief der
Loggetta enthebt mich jeder
weiteren Beweisführung: die
Identität beider Figuren kann
nicht besser, als es hier
der Fall ist, zur Geltung
kommen.4

Tiziano Minio ge-
hört zu dem engeren Schü-
lerkreis Sansovinos. Seine
ersten Arbeiten leistete er
in der Bottega des Meisters,
wohl als besserer Gehilfe.
Erst als Sansovino wegen
des Einsturzes der Libreria
seines Amtes enthoben wurde
und ein Jahr in Haft auf
die Strafe warten mußte,
machte sich der Geselle
Minio selbständig, indem
er zusammen mit einem
sonst obskuren Desiderio
aus Florenz 1545 den Kon-
trakt schloß, binnen Jahresfrist den Taufbrunnen für S. Marco zu vollenden. Er hielt sein Ver-
sprechen. Die Bronzedeckel der Taufschüssel wurden mit Szenen aus dem Leben des heil. Johan-
nes d. T. und mit den Evangelisten Lukas und Markus in Relief geschmückt. Diese erzählenden
Szenen verraten den noch unsicheren Schüler des großen Florentiners, dessen michelangioleske
Sprache er ihm abgelauscht und mit den Übertreibungen des Nachahmers verwertet hat. Die Ähn-
lichkeit in der Ausführung der einzelnen Figuren an diesen Reliefs mit den Gestalten an den
zwei Darstellungen der Loggetta ist evident und die Zuschreibung dieser an Minio als einwandfrei
zu betrachten.

Fig. 26. Aphrodite.
Wien, Sammlung Dr. Figdor.

Fig. 27. Aphrodite.
Berlin, Kaiser Friedrich-Museum.

1 H. 29 cm. Massiver Guß. Schwarze Lackpatina. Spuren von brauner und grüner Naturpatina.

2 Bode, Bronzestatuetten III, CCXXV. 3 Schlosser, a. a. O., Taf. XIX, 2.

4 In der Sammlung Carrand des Bargello zu Florenz befindet sich der Fuß eines Kandelabers, von zwei bärtigen
Göttergestalten getragen, die mit der hier angeführten Figur sowie mit den Minio zugeschriebenen Werken eng verwandt
sind. Die Bezeichnung Tiziano Minio würde auch hier gut passen (Abb. in «Les Arts» 1904).

XXXIV. 3
 
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