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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Randglossen zu Venedigs Bronzeplastik der Hochrenaissance
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0030
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22

Leo Planiscig.

Wir wollen vorläufig bei dieser ziemlich erweiterten Gruppe verweilen und eine mit einer
einwandfreien Künstlersignatur versehene Bronzeplastik in ihre Nähe rücken: es ist dies die
gewöhnlich als «Temperantia» bezeichnete Figur auf der Balustrade des Presbyteriums
des Santo zu Padua, auf deren Sockel Tni Ati Pni Ovs, d. h. Titiani Aspetti Patavini
Opus zu lesen ist (Fig. 29). Diese Frauengestalt steht auf dem rechten Bein, das linke ist vor-
gebeugt und als Spielbein auf ein kleines Postament gestellt, der Kopf etwas nach links gewendet
und vornüber geneigt. Die Gewänder liegen in großen Falten am Körper an. — Man vergleiche
diese Figur mit der Anadyomene des Berliner Klopfers (Fig. 28). Abgesehen von äußeren Merk-
malen, wie z. B. der Anwendung desselben Standmotivs, ist
die stilistische Behandlung, namentlich in den Becken- und
in den Kopfpartien, frappant ähnlich. Die hochfrisierten,
welligen, in der Mitte geteilten Haare, die leicht gewölbte
Stirne, darunter die schweren, etwas geschwollenen Lider,
Nase, Mund, ovaler Gesichtsschnitt sind nicht Merkmale, die
als Allgemeingut einer Zeit oder einer Schule angesprochen
werden können, sondern sie charakterisieren einwandfrei
eine Künstlerindividualität oder, da wir es mit Bronzen zu
tun haben, eine direkt unter einem bestimmten Meister stehende
Gießerwerkstatt.

Nachdem die auffällige Verwandtschaft der Berliner
«Aphrodite» mit der sogenannten «Temperantia» des Tiziano
Aspetti festgestellt wurde, können wir die hier angeführten
Bronzestatuetten in verkehrter Reihenfolge nochmals vor
unseren Augen vorüberziehen lassen. Ihre stilistische Zu-
sammengehörigkeit ist bereits erwiesen worden, das Endglied
deckt sich nun mit einem bezeichneten Werke; darnach
müssen, einem einfachen logischen Schlüsse zufolge, auch
die anderen Glieder sich mit der neuangeführten, bezeichne-
ten Figur decken, d. h. mit ihr Stilähnlichkeiten aufweisen.

Sowohl die «Aphrodite» des Kaiser Friedrich-Museums
(Fig. 27), als auch die Variante (Fig. 26) bei Dr. Figdor
(man betrachte bei dieser die Behandlung der Zehen und
die manierierte Stellung der Finger) weisen als engere Ver-
wandte der Figur am Türklopfer des Berliner Kunstgewerbe -

Berlin, Auktion v. Beckerath. o r o

Museums (Fig. 28) dieselben Stilähnlichkeiten mit Aspettis
«Temperantia» auf. — Hierauf kämen die «Judith»-Varianten (Fig. 22—24) in Betracht, aber mehr
als diese steht die ihnen so ähnliche «Vigilantia» Dr. Figdors (Fig. 25) der paduanischen Figur
nahe. Hier muß vor allem die Behandlung der Gewänder ins Auge gefaßt werden, jene an allen
unseren Figuren hervorgehobenen breiten, am Körper eng anliegenden Flächen, namentlich an der
Bauchpartie, wo sie das so charakteristische, breite, gewölbte Becken durchscheinen lassen. Von
der «Vigilantia» zur Estensischen «Fortitudo» (Fig. 21) sowie von dieser zur Morganschen «Vene-
tia» (Fig. 18) führt ein leichter Weg. Wie die «Vigilantia», weisen auch diese Figuren eine un-
verkennbare Stilähnlichkeit mit der Frauengestalt Aspettis auf. Kleider und Faltenwurf, der hohe
Gurt um die Brust, Gesichtspartie und Haarbehandlung sprechen unzweideutig für eine und die-
selbe Stilquelle. Freilich besteht ein Qualitätsunterschied. Diesen haben wir aber auch zwischen
der Berliner «Judith» und ihren Varianten feststellen können, an deren Abhängigkeit voneinander
wohl niemand wird zweifeln wollen.

Die Bronzestatuette gehört mehr oder weniger, wie die ihr materialverwandte Plakette, in den
Bereich der vervielfältigenden Künste, und wie die Wiener und die Grazer «Judith» auf den ver-
 
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