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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Berenson, Bernard: Eine Wiener Madonna und Antonellos Altarbild von S. Cassiano
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0046
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Bernhard Berenson.

erkannt. Fast unmittelbar nachdem ich Zeit gefunden hatte, diese neuen Entdeckungen zu ver-
arbeiten, ahnte ich, daß die Wiener Madonna, die zu ßoccaccino Beziehungen zu haben schien,
noch nähere zu dem «Pseudo-Boccaccino», die nächsten aber zu Antonello habe.1

Zur gleichen Zeit etwa erwarb mein amerikanischer Nachbar in Florenz, Mr. Henry Cannon,
eine kleine Kopie dieser Madonna (Fig. 3), von Teniers ohne Zweifel zu dem Zwecke gemalt, um in
sein «Theatrum Pictorium» eingereiht zu werden, jenen kostbaren Band, der Reproduktionen der

bedeutendsten Meisterwerke der Sammlung des Erz-
herzogs Leopold Wilhelm enthält. Ich schlug diesen
Band auf und fand mich nicht getäuscht; unsere
Madonna war dort als ein Werk Giovanni Bellinis
reproduziert. Wenn man im XVII. Jahrhundert ein
Bild diesem genialen Meister zuschrieb, hieß das
nicht mehr, als daß man es mit einem Meisterwerke
der venezianischen Kunst des XV. Jahrhunderts zu
tun habe. Dies befestigte meine Überzeugung, daß
die Wiener Madonna aus Venedig stamme, wo sich
die Überlieferung ihres Wertes und ihrer Bedeutung
erhalten hatte. Eine andere wichtige Tatsache fiel
mir bei genauer Betrachtung von Teniers' Kopie in
die Augen, nämlich die, daß das Original nach Voll-
endung der Kopie etwas beschnitten worden sein
muß. So ergab sich mir die Wahrscheinlichkeit, daß
das Wiener Bild nur ein Fragment sei, und die Mög-
lichkeit, daß es ein Teil von Antonellos epoche-
machendem Altarbild von S. Cassiano sein könnte.

Bei meinem nächsten Besuch in Wien sprach
ich über diesen Gedanken mit dem Grafen Lanc-
kororiski, mit Dr. Glück und Professor Dvofak; es
gelang mir, ihr Interesse dafür zu erwecken, und
ich erhielt das Versprechen, daß das Bild gereinigt
werden würde. Denn da es stark übermalt war,
hoffte ich, daß eine Reinigung untrügliche Beweise
dafür geben werde, daß es nur ein Fragment sei. Es
verging einige Zeit, der Krieg kam dazwischen und
ich hatte alle Hoffnung auf die Erfüllung meines
Wunsches aufgegeben. Da teilte mir eines Tages
Dr. Glück schriftlich mit, daß man den Versuch ge-
macht habe, und sandte mir eine Photographie des
Bildes, die sein jetziges Aussehen zeigt (Taf. IV);
er wies darauf hin, wie die Entfernung der Übermalung an den Tag gebracht habe, daß die
Fleischteile ziemlich stark beschädigt seien und der Kopf der Madonna einiges von seinem Schmelz
verloren habe. Trotzdem war meine Voraussetzung nur zu wahr gewesen und das Wiener Bild
erwies sich als Teil eines größeren Ganzen. Befreit von der Übermalung, die dies wohlweislich
verdeckt hatte, erschienen nämlich links unten zwei Hände, die ein mit Flüssigkeit gefülltes Glas
halten. Die Hände setzen eine Figur voraus, diese zum mindesten eine zweite und beide ein
Altarbild. Dies steht fest. Unglücklicherweise bin ich seither nicht mehr in Wien gewesen und

Fit;. 3. D. Teniers, Kopie nach Antonellos da Messina
Madonna.

Florenz, bei Mr. Henry Cannon.

1 Inzwischen veröffentlichte Dr. Borenius im Maihefte 1913 des «Burlington Magazine» seine eigenen, ganz unabhän-
gigen Studien über das Wiener Bild, die darauf hinausgehen, dessen Zusammenhang mit Antonello zu beweisen.
 
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