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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Berenson, Bernard: Eine Wiener Madonna und Antonellos Altarbild von S. Cassiano
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0048
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38

Bernhard !5erenson.

geschrieben scheint, während eine solche von gedrungener Form Schoß und Beine der Jungfrau
umschliei.it. Ohne auch nur im entferntesten den Vergleich mit unseren kürzlich aufgetauchten
Kubisten wagen zu wollen, die während der kurzen Zeit, wo sie in Mode waren, der geometri-
schen Form so barbarisch jede Natürlichkeit, Anmut und Ähnlichkeit opferten, ist doch diese
geometrische Geschlossenheit die Grundlage, auf der alle Linien in unserem Werke aufgebaut
sind. Soweit es sich mit den Erfordernissen der Darstellung verträgt, streben sie nach unten,

bilden so die Hauptform der gro-
ßen Pvramide, während andere
mehr oder minder horizontal ge-
führte Linien deren Basis bilden.
Daher kommt das eigentümliche
System von Falten, das Knie und
Füße bedeckt und das von Anto-
nellos Nachfolgern so oft nach-
geahmt wurde. Aber die Gesamt-
zeichnung, die so viel mehr eine
Sache des Kopfes als der Hand
ist, wird von verständigen Nach-
folgern am leichtesten und besten
nachgeahmt und es bleibt daher
zu untersuchen, ob bei dem Man-
gel bestimmter Parallelen zwi-
schen Antonellos eigenen Arbeiten
diese Lösung des Problems geo-
metrischer Darstellung nur für
diese Nachfolger gut genug oder
aber um so viel besser ist, daß
sie von Antonello selbst stammen
muß. Doch wollen wir für den
Augenblick diese Untersuchung
verschieben; denn sie wird im
nächsten Abschnitt ihren Platz
finden. Wir müssen den Rest
dieses Abschnittes einer spezielle-
ren Tatsache widmen.

Eine Komposition wie die
unsere entsteht hauptsächlich durch
Draperien und Draperie wieder
ist eine Sache des Stoffes und der Falten. Hier ist in der Behandlung des Stoffes nichts, was
einer Arbeit Antonellos fremd oder unwürdig wäre, und die Falten zeigen soviel von seiner
Besonderheit und Art, daß es erstaunlich wäre, wenn sie nicht von ihm stammen würden. Die
Musterung des Brokates ist durchaus ähnlich jener in Werken, die so unstreitig seine eigenen
sind wie das Polvptichon in Messina und die «Verkündigung» in Syrakus (Figg. 4, 5). Die Falten,
beginnend mit der Gürtelfalte — wie in allen seinen signierten Cartolini — und im Faltenwurf
des Gewandes über dem flachen Polster endigend, fast genau so wie bei der Madonna der Ant-
werpener «Kreuzigung», heben und senken und knittern sich, wie man es in allen seinen beglau-
bigten Werken wiederfindet. Im Grunde zeigen sie trotzdem fast dieselbe geometrische Absicht wie
bei der «Jungfrau» in Syrakus, wie dort hervorgehoben durch den Wulst der Yertikaldraperie
über der Brust. Die Linien des Kopftuches unter dem Kinn haben genau dieselbe Form und

Fig. 4. Engel aus der Verkündigung von Antonello da Messina.
Syrakus. Pallazo Bcllomo.
 
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